Die lange Leitung Berlins

21. April 2021

Was vom Politikbetrieb im Ausbildungsbetrieb ankommt – ein Streiflicht

Dieser Beitrag erschien in Auszügen im WorldSkills Germany Magazin – Ausgabe 19 (April 2021). Lernen Sie unser Fachmagazin für Talentmanagement, berufliche Wettbewerbe und außerschulisches Lernen kennen >>

Ausbildungsallianzen, Förderprogramme und Wahlversprechen: Wenn es um die berufliche Bildung geht, schmückt sich die Bundespolitik gerne mit ihrem vielfältigen Engagement für das duale System. Doch welche Bundesinitiative kommt wirklich in den Ausbildungsbetrieben an und was wünscht man sich dort? Wir haben einen Betrieb nach seinem Meinungsbild gefragt.

Um die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die berufliche Bildung abzufedern, hat die Bundesregierung im Zuge des Bundesprogramms „Ausbildungsplätze sichern“ Hilfen in Millionenhöhe beschlossen. Hinzu kommen Instrumente wie die Mindestausbildungsvergütung oder das Aufstiegs-BAföG. Mit zahlreichen Maßnahmen fördert die Bundesregierung Auszubildende und ausbildende Betriebe, heißt es auf der eigenen Webpräsenz.
Arbeitsminister Hubertus Heil appellierte im letzten Sommer mit ernster Miene an Unternehmen, auch in der Coronakrise junge Menschen auszubilden. Ein „Coronajahrgang“ müsse unbedingt verhindert werden. Die Regierung hatte deswegen im Sommer „Azubi-Prämien“ auf den Weg gebracht, um gebeutelten Unternehmen unter die Arme zu greifen. Betriebe, die weiterhin ausbilden und sogar neue Lehrstellen schaffen, erhalten Prämien. Soweit der Gedanke. Doch die Leitung vom Berliner Politikbetrieb bis in den Ausbildungsbetrieb scheint lang zu sein, findet Unternehmer Marc Schmitz. Der 51-jährige Kölner bildet in seinem Fachbetrieb für Heizung, Sanitär, Klima und Elektro selbst aus und hat wie hunderttausende andere Betriebe seine ganz eigene Beziehung zur Berufsbildungspolitik. Zwar sind seine Erfahrungen nicht grundsätzlich exemplarisch zu verstehen, werfen aber dennoch einen interessanten Blick auf den Bildungsstandort Deutschland.

Betriebsalltag trifft Politikbetrieb
Als Antwort auf die Frage, welche der Bundesförderungen er selbst in Anspruch genommen hat, lacht er nur: „Keine.“ Seinem Betrieb gehe es weitestgehend gut, man habe „keinen Grund zum Jammern“. Aber selbst, wenn Schmitz eine Azubi-Prämie beantragt hätte, wäre wohl kein Geld bei ihm angekommen Denn die Förderungen sind an etliche Bedingungen geknüpft: im ersten Halbjahr 2020 mindestens ein Monat Kurzarbeit oder im April und Mai mindestens 60 Prozent weniger Umsatz als im Vorjahreszeitraum. Außerdem mussten mindestens so viele Lehrlinge beschäftigt sein wie in den drei Jahren zuvor. Bedingungen, die manche Betriebe nicht erfüllen können, obwohl sie die Unterstützung bräuchten.
„Ich möchte nicht überheblich klingen“ sagt Schmitz. „Aber leider sind 2.000 bis 3.000 Euro für eine Ausbildung ein Betrag, der den Verwaltungsaufwand nicht lohnt. Wenn ich einen Azubi zweieinhalb bis dreieinhalb Jahre lang ausbilde, ist das nichts.“ Mit dieser Meinung steht der Kölner nicht alleine da. Wie aus einem Schreiben der Bundesagentur für Arbeit an Vertreter des Bundestages hervorgeht, wurden zwischen August und November 2020 insgesamt 20.330 Prämien positiv entschieden. Davon entfielen 7.800 auf Ausbildungsprämien (2.000 Euro pro Vertrag), 12.500 auf Ausbildungsprämien plus (3.000 Euro pro Vertrag für zusätzliche Ausbildungsplätze) und 30 auf Übernahmeprämien die ausgezahlt wurden, wenn ein Betrieb Azubis eines insolventen Unternehmens aufnimmt. Um das in Relation zu setzen: 2019 starteten laut Berufsbildungsbericht über 490.000 junge Menschen eine duale Ausbildung. Nur etwa sechs Prozent der Ausbildungsbetriebe stellten überhaupt einen Antrag. Ein Großteil der ausbildenden Betriebe und deren Azubis wurden also nie von Coronaförderungen erreicht. Monate später hat die Politik immerhin reagiert: Im Dezember 2020 wurden etwas niedrigere Fördervoraussetzungen und längere Antragszeiträume festgelegt. Ob das von Erfolg gekrönt sein wird, ist noch offen.

Die Lange Leitung Berlins: Manche Angebote der Bundesministerien gehen auf dem Weg zu den Unternehmen verloren, werden von ihnen nicht als für sie relevant wahrgenommen oder als unpraktikabel angesehen. So ergeht es auch Unternehmer Marc Schmitz. (Foto: Wirestrock/Freepik)

Paradebeispiel
Marc Schmitz ist ein lebendiges Beispiel dafür, welches Karrierepotenzial die duale Ausbildung in Deutschland nach wie vor bietet: Nach dem Hauptschulabschluss, machte Schmitz eine Ausbildung als Gas- und Wasserinstallateur und holte währenddessen den Realschulabschluss nach. Während seiner Gesellenzeit besuchte er die Abendschule, machte das Fachabitur, wurde dann geprüfter Techniker für Heizung-Sanitär-Klima und studierte danach an der Rheinischen Fachhochschule Wirtschaftsingenieurwesen. Das Studium wurde dann nach einigen Semestern „erfolgreich abgebrochen“, weil er währenddessen auch seinen Meister gemacht hatte und ihm bereits ein fixer Job als Projektleiter winkte. Heute führt Schmitz einen eigenen Betrieb mit 70 Mitarbeitern und bildet 14 junge Menschen in 4 verschiedenen Berufen aus. Sein allererster Auszubildender ist heute sein Chefausbilder.
Für Marc Schmitz sind die Maßnahmen der Bundesregierung in Corona-Zeiten eine Fortsetzung des „Gut gedacht, schlecht gemacht“-Prinzips, das die Berufsbildungspolitik des Bundes schon lange kennzeichne. „Wir brauchen nicht immer mehr und kompliziertere Förderprogramme. Wir brauchen gezielte Fördermaßnahmen und eine erhöhte Attraktivität der beruflichen Bildung an sich.“ Mit einer besseren Angleichung der Ausbildungsberufe an die akademischen Bereiche und einer „ordentlichen Öffentlichkeitsarbeit“ wäre schon viel geschafft, sagt der Unternehmer.

Blinder Fleck im Bundestag?
Zwar ist laut Schmitz in puncto Berufsbildung einiges gemacht worden –beispielsweise durch die Zusatzbezeichnung „Bachelor Professional“ oder das Azubiticket – aber nur auf Druck der Verbände. „Nehmen wir den Fachkräftemangel in der Pflege“, sagt der Unternehmer. „Den gibt es bekannterweise schon lange. Aber hätten wir nicht Corona, würde da kaum einer drüber sprechen. Dieser Bereich wurde jahrelang vernachlässigt und nun versucht man auf einmal das Image der Pflegeberufe aufzubessern. Da könnte aber noch viel mehr gemacht werden. Im Handwerk und anderen Zweigen der beruflichen Bildung ist das nicht wirklich anders.“ Das liege laut Schmitz auch daran, dass sehr wenige führende Politiker einen Ausbildungsberuf erlernt haben. „Wenn es mehr Politiker geben würde, die eine Ausbildung hinter sich haben, hätten wir auch bessere Systeme. Da bin ich sicher.“ Im Bundestag sitzen derzeit 709 Abgeordnete, von denen viele aus Justiz, öffentlicher Verwaltung oder Wirtschaftswissenschaft kommen. Die Bäckerin oder Restaurantfachfrau ist im Bundestag eher die exotische Ausnahme.

International unterwegs – ohne Ministerien
Wie sehr die Berufsbildungspolitik des Bundes manchmal an der Realität vorbeiläuft, zeigt sich beispielsweise in der Organisation des internationalen Austauschs. Dass Jugendliche und junge Erwachsene von internationalen Erfahrungen profitieren, ist wissenschaftlich belegt. Der Kontextwechsel hat positive Effekte auf die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben und auf die Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung. Marc Schmitz hält internationale Erfahrungen für seine Auszubildenden für eine „tolle Sache“. „Das ist nicht nur aus sprachtechnischer Sicht für die jungen Leute interessant, sondern auch, weil sie in anderen Ländern auch andere Arbeitstechniken kennenlernen.“ Auch der Bund ist sich der Positiveffekte von Auslandserfahrungen bewusst. Daher fördern sowohl Bildungs- als auch Wirtschaftsministerium den internationalen Austausch von Auszubildenden. Die Programme tragen verheißungsvolle Namen wie „Ausbildung weltweit“ und „Berufsbildung ohne Grenzen“. Doch auch hier zeigt sich am Beispiel von Schmitz‘ Betrieb, dass der Weg von der Idee in Berlin bis zur Umsetzung vor Ort schwierig ist. Auch Schmitz schickt nämlich seine Auszubildenden regelmäßig ins Ausland, beispielsweise nach Frankreich oder Bulgarien. Organisiert wird das allerdings vom Betrieb selbst, die Unterstützung kommt von der Kölner Innung der SHK-Fachbetriebe, wo Schmitz seit 2017 das Ehrenamt des Obermeisters innehat. Die gut gemeinten Programme des Bundes dringen also nicht zwangsläufig bis in die Betriebe vor. „Wir machen das lieber selber und setzen auf eigene Kooperationen. Da gibt es weniger Bürokratie“, sagt Schmitz .

Sorgenkind Berufsschule
Er stört sich an den Prioritäten, die der Bund in der Bildungspolitik setzt: „Ich kann einen kompletten akademischen Abschluss nicht mit einem Meister gleichstellen, das steht außer Frage. Aber es wird immer noch im Verhältnis viel mehr Geld in den akademischen Bereich als in die duale Ausbildung gesteckt.“
Wenn ein Unternehmen einen Azubi ausbildet, herrsche oft die Meinung vor, man verdiene damit Geld. Schmitz entgegnet: „Wenn ich als Unternehmer eine qualifizierte Ausbildung durchführe, verliere ich dadurch Geld. Ein Großteil der ausbildenden Betriebe sind Familien- und Kleinbetriebe und die müssen bezahlen. Die Universitäten werden hingegen öffentlich finanziert. Hier herrscht ein Ungleichgewicht vor.“ Schmitz möchte den Hochschulen nichts wegnehmen, wünscht sich von der Politik aber eine Stärkung der beruflichen Bildung.
„Die duale Ausbildung ist heute viel anspruchsvoller als vor 30 Jahren. Dem Stellenwert, den sie eigentlich haben müsste, wird die Realität oft nicht gerecht.“ Das setze sich auch in der Ausstattung der Berufsschulen fort. Die hängen föderalismusbedingt zwar zu großen Teilen von den Länderregelungen ab, aber auch bundesweite Bildungsprogramme wie der Digitalpakt kommen nur spärlich im Schulwesen und damit in den Berufsschulen an. Damit Schüler auch in Corona-Zeiten effektiv lernen können, hatte der Bund fünf Milliarden Euro bereitgestellt. Doch das Geld wird von den Schulen nicht abgerufen. Stand August sind vom Fördergeld nur 15,7 Millionen Euro abgeflossen. Gerade die Berufsschulen in Deutschland seien in einem desolaten Zustand, so Schmitz. „Meine Auszubildenden gehen auf dieselbe Berufsschule in Köln-Porz, die ich vor 35 Jahren besucht habe. Die war damals schon alt.“ Zuletzt fiel dort der Unterricht aus. Nicht etwa wegen Corona, sondern weil die Heizung im Schulgebäude den Geist aufgegeben hatte. Ein Angebot zur Reparatur durch die ausbildenden Betriebe wurde von öffentlicher Seite ausgeschlagen. Man müsse den bürokratischen Weg gehen. Schmitz schmunzelt: „An der Berufsschule für Heizungstechnik ist die Heizung ausgefallen!“

Weiterführende Informationen:
Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“ >>
Erasmus+ für Berufsbildung >>

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Im Dezember 2020 moderierte Marc Schmitz die digitale Mitgliederversammlung der Innung Sanitär Heizung Klima Köln. (Foto: Innung Sanitär Heizung Klima Köln)

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