Das Interview ist Teil eines Beitrags im WorldSkills Germany Magazin - Ausgabe 17 (September 2020). Lernen Sie unser Fachmagazin für Talentmanagement, berufliche Wettbewerbe und außerschulisches Lernen kennen >>
Dr. Matthias Jaroch ist seit 2006 Pressesprecher des Deutschen Hochschulverbands (DHV), der Berufsvertretung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland.
Studienanfänger- und Akademikerquoten, die beispielsweise lange Zeit der vielbeachteten, jährlich erscheinenden OECD-Auswertung „Bildung auf einen Blick“ zugrunde lagen, sind bundesweit zum Gradmesser für Erfolg und Misserfolg staatlicher Bildungspolitik geworden. Dadurch sind die Spezifika des deutschen Bildungswesens aus dem Blickfeld geraten. Hierzulande gibt es mit dem dualen System der Berufsausbildung ein weltweit nahezu einzigartiges Modell, um das Deutschland international beneidet wird. Es bringt mindestens ebenso gut qualifizierte Fachkräfte hervor wie das auf Hochschulabschlüsse gerichtete System anderer OECD-Mitgliedstaaten. Umso folgenreicher und abträglicher ist die Fixierung auf Akademikerquoten in Deutschland. Sie leistet einer schleichenden Entwertung nichtakademischer Abschlüsse Vorschub. Berufliche, vollzeitschulische und akademische Bildung sind andersartig, verdienen aber gleichermaßen Anerkennung und Förderung.
Verschiedene Faktoren haben den anhaltenden Trend zur Akademisierung begünstigt. Hierzu gehört, dass Personen mit Hochschulabschluss im Durchschnitt selten arbeitslos sind, häufig besser verdienen und in der Regel gute Chancen auf eine angemessene berufliche Position haben. Auch hat in vielen Branchen der Bedarf an einer wissenschaftsbasierten Ausbildung bzw. an hochqualifizierten Beschäftigten zugenommen. Ob allerdings die Verlagerung von Ausbildungsberufen an die Hochschulen immer sinnvoll ist, darüber lässt sich trefflich streiten.
Mit der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge hat die Zahl der Studiengänge kontinuierlich zugenommen. Über berufsbezogen klingende Studiengänge versuchen sich viele Hochschulen zu profilieren. Das ist eine Entwicklung, die der DHV durchaus mit Sorge sieht. Insbesondere bei den Bachelor-Programmen ist ein Wildwuchs entstanden, der für Schüler/innen und Studierende oftmals kaum noch durchschaubar ist. Bei zu starker fachlicher Einengung bleibt die Generalistik auf der Strecke. Die Überspezialisierung in der Nische kann den Berufseinstieg und die weitere berufliche Entwicklung bedrohen. Im Bachelor sollten deshalb vor allem die Grundlagen des Fachs vermittelt werden. Erst im Master sollte die weitere Spezialisierung erfolgen.
Dr. Matthias Jaroch (Foto: Deutscher Hochschulverband/Till Eitel)
Für berufliche Abschlüsse gelten seit dem 1. Januar 2020 die Bezeichnungen „Bachelor Professional“ und „Master Professional“. Aus Sicht des DHV ist dies ein Irrweg. Statt die Gleichwertigkeit beruflicher und hochschulischer Abschlüsse zu unterstreichen, verwischen die neuen Bezeichnungen die Unterschiede und beeinträchtigen die Sichtbarkeit beruflicher Qualifikationen. Besonders deutlich wird dies mit Blick auf das europäische Ausland: Hier werden Bachelor und Master ausschließlich im wissenschaftlichen Kontext vergeben. Um adäquate Wertschätzung zu erfahren, sollte die berufliche Bildung ihre Eigenart selbstbewusst betonen.
Damit Begabungen individuell entfaltet werden können, ist ein Bildungsangebot der Vielfalt erforderlich. Übergänge zwischen akademischer und beruflicher Bildung gibt es. Längst können etwa beruflich Qualifizierte ohne Abitur studieren. Durchlässigkeit darf allerdings kein Selbstzweck sein. Aus Gründen der Qualitätssicherung sollte auf den Nachweis der Eignung nicht verzichtet werden. Im Hinblick auf den möglichen Studienerfolg müssen daher Hochschulen weiterhin die Studienaufnahme von beruflich Qualifizierten an inhaltliche Voraussetzungen knüpfen dürfen.
Auf diese Frage kann es keine allgemeingültige Antwort geben. Die Entscheidung, ein Studium oder eine betriebliche Ausbildung zu beginnen, muss individuell getroffen werden und verdient Respekt. Berufs- und Studienwahl sollten dabei nach Maßgabe von Eignung und Neigung erfolgen. Schulen und Hochschulen müssen junge Menschen bei ihrer Entscheidungsfindung beratend zur Seite stehen.
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