Dieser Beitrag erschien in Auszügen im WorldSkills Germany Magazin - Ausgabe 18 (Dezember 2020). Lernen Sie unser Fachmagazin für Talentmanagement, berufliche Wettbewerbe und außerschulisches Lernen kennen >>
Die Corona-Krise stellt Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen. Auch die berufliche Bildung steht unter Druck. Wie verändert die Pandemie die duale Ausbildung?
Corona schüttelt Karrieren und Bildungsbiografien derzeit kräftig durch. Junge Menschen, die im Jahr 2020 bereits einen Ausbildungsvertrag in der Tasche hatten, litten stark unter der Pandemie. Statt in Betrieb und Berufsschule gingen sie aufgrund von Covid-19 teilweise ins Homeoffice oder in Kurzarbeit. Beim Zentralverband des Deutschen Handwerks hat man die Befürchtung, dass mittel- bis langfristig ein Teil der "Corona-Generation" verloren gehen könnte, da sich überdurchschnittlich viele Jugendliche für alternative Bildungswege entschieden haben. Akteure in der beruflichen Bildung versuchen nun abzuschätzen, wie in Zeiten der Post-Pandemie ausgebildet und gelernt wird.
Corona beschleunigt die digitale Transformation der betrieblichen Arbeitswelt, ergab zuletzt eine Sonderstudie der Bertelsmann Stiftung. Das Virus zwingt demnach die Unternehmen dazu, Neues auszuprobieren und Lösungen für die Weiterentwicklung des Arbeitsalltags zu finden. Ein Prozess, der auch nicht vor der beruflichen Bildung Halt machen wird, prognostiziert Nicole Ottersböck, wissenschaftliche Expertin des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa): "Insgesamt ist davon auszugehen, dass sich die digitale Transformation auch in der Ausbildung durchsetzen und der Arbeitsalltag von Auszubildenden vermehrt durch digitale Mittel und digitales Lernen geprägt sein wird." Unternehmen hätten im Zuge der Pandemie gemerkt, dass "der Laden trotzdem läuft", auch wenn die Beschäftigten nicht vor Ort im Büro sind und ihre Aufgaben von zu Hause aus erledigen. "Womöglich gehört die eigenverantwortliche Erledigung von Aufgaben im Homeoffice mittels digitaler Technologie zu zukünftigen Ausbildungsinhalten", so Ottersböck.
"Die Digitalisierung hat einen enormen Schub bekommen. Die Ausstattung und vor allem die Erkenntnis bei allen Beteiligten, dass digitale Technik sinnvoll in den Unterrichtsbetrieb integrierbar ist, hat gerade bei berufsbildenden Schulen einen breiten Raum gefunden", sagt Joachim Maiß, Vorsitzender des Bundesverbands der Lehrkräfte für Berufsbildung. "Die 21st-Century-Skills, wie beispielsweise Kreativität, Adaptionsfähigkeit oder die Kompetenz, Probleme zu lösen, müssen zentraler Bestandteil von Schule sein. Wer die Gleichwertigkeit zu Lesen und Schreiben ignoriert, macht einen entscheidenden Fehler." Schule werde sich verändern, "weg von der Dressur von Postpferden, hin zum Training von Lipizzanern", so Maiß. Hybride Unterrichtsformen werden ihm zufolge auch nach Corona in einem Umfang von 10 bis 20 Prozent erhalten bleiben.
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Dass die berufliche Bildung digitaler wird, vermutet auch die deutsche Wirtschaft: "Wir haben schon während der Pandemie gesehen, dass wir bei der Digitalisierung gerne weiter gewesen wären. So wäre es wünschenswert gewesen, wenn gerade die Berufsschulen bereits flächendeckend und zuverlässig Online-Formate hätten anbieten können", sagt Christina Mersch, Bereichsleiterin Ausbildung beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Gelder des Digitalpakts und ähnlicher Fördermaßnahmen müssten nach der Pandemie schneller vor Ort ankommen, um mehr digitale Angebote zu schaffen. Die Durch-Digitalisierung der beruflichen Bildung stünde aber nicht bevor, so Mersch. Der direkte Kontakt zwischen Ausbilder und Azubi sei "extrem wichtig", um die Weiterentwicklung der Auszubildenden sicherzustellen. "In einer Ausnahmesituation wie dieser ist einiges am Computer von zu Hause möglich. Einen digital ausgebildeten Koch kann ich mir aber nicht vorstellen." Auch Siglinde Foidl-Dreißer, Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher Berufsausbilder, warnt vor dem "unüberlegten Ausweichen" auf elektronische Medien: "Ich bin sehr dafür, dass Auszubildende in der Zukunft mehr Eigenverantwortung übernehmen und nicht nur nach Staat oder Ausbilder/in rufen. Ich weiß aber auch, dass nicht alle Menschen für das Selbststudium geeignet sind. Da sehe ich sehr gefährliche Zeiten auf uns zukommen."
Die Arbeitswelt erfährt seit einigen Jahren grundlegend einen strukturellen Wandel. Selbstfindung, flexible Arbeitsmodelle, Kollaborationstools: Die Kernelemente von "New Work" gewinnen in der aktuellen Krise noch einmal erheblich an Relevanz. "Neue Arbeit" ist ein Sammelbegriff, mit dem alternative Arbeitsmodelle umschrieben werden. Der Begriff geht auf den Sozialphilosophen Frithjof Bergmann zurück, der bereits Mitte der 1970er Jahre das Konzept entwickelte. Dabei geht es um Werte wie Entscheidungs- und Handlungsfreiheit sowie Selbstständigkeit, aber auch um die sinnstiftende Funktion der Arbeit. Ein Trend, der auch bei uns zu verzeichnen ist. Obwohl in Deutschland heute rund 200.000 junge Menschen weniger von der Schule abgehen als noch 2005, steigen immer mehr in die Pflege oder in die Pädagogik ein. "Corona hat uns als Wirtschaft und Gesellschaft die Wichtigkeit von Gesundheits- und Erziehungsberufen vor Augen geführt. In diesen Berufsfeldern verzeichnen wir seit 2005 ein Plus von 40.000 Berufsanfängerinnen und -anfängern", sagt Christina Mersch. "Die stehen dann natürlich nicht für andere duale Ausbildungsberufe bereit."
Das Streben nach Sinn in der Ausbildung nimmt zu, sagt auch Arbeitsforscherin Nicole Ottersböck: "Gerade junge Menschen wollen nicht nur einen Job machen, um Geld zu verdienen und ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Sie wollen eine Arbeit, die für sie einen Sinn ergibt, die sie erfüllt, auf die sie stolz sind."
Für die Wirtschaft ist es umso wichtiger, dass möglichst viele junge Menschen unter den 327 anerkannten Ausbildungsberufen einen für sie passenden finden. Denn die OECD misst in ihrem aktuellen Bildungsbericht der beruflichen Bildung eine "Schlüsselrolle in der Erholungsphase nach der Covid-19-Pandemie" bei. Sie hebt hervor, dass viele der Berufe, die während des Lockdowns systemrelevant waren, von berufsbildenden Qualifikationen abhängen.
Expert/innen sind sich einig, dass der digitale Wandel auch in Zukunft rasant weiter voranschreiten wird. Nach der Pandemie wird es die Aufgabe aller Bildungsakteur/innen sein, Ausbildungskonzepte zu entwickeln, die moderne Skills fördern und flexible Arbeitsmodelle ermöglichen, ohne die Jugendlichen mit der neu gewonnenen Selbstständigkeit zu überfordern.
Weitere Fachbeiträge und Best-Practices finden Sie im WorldSkills Germany Magazin, dem Fachmagazin für Talentmanagement, berufliche Wettbewerbe und außerschulisches Lernen.
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Am 10. Dezember wurde der Bundesverband digital construction e. V., Partner von WorldSkills Germany, von Bundesminister Volker Wissing im Bundesministerium für Digitales und Verkehr empfangen. Weltmeister Yves Joel Gottmann und Bundestrainer Dill Khan präsentierten die Berufswettbewerbe in ihrer Wettkampfdisziplin.
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