Fehlende Berufsorientierung, schulische Defizite und ein Mangel an positivem Image – Unternehmen fällt es zunehmend schwer, passende Auszubildende zu finden. Allen voran sind es die Ausbilderinnen und Ausbilder, die im täglichen Berufsalltag aktuell vor großen Herausforderungen stehen. Umso klarer sind ihre Forderungen für die Zukunft der Ausbildung.
Immer öfter haben Unternehmen Schwierigkeiten, geeignete Nachwuchskräfte zu rekrutieren und zu halten. Katja Caspari, Vorstandsmitglied im Bundesverband Deutscher Berufsausbilder e. V., sieht einen Grund dafür in den „häufig mäßigen Kenntnissen in Lesen, Schreiben und Rechnen. Die Jugendlichen wurden zudem als Wissenskonsumenten geprägt, so dass eigenständiges Denken und Handeln erst in der Ausbildung erlernt werden muss. Hier läuft in unseren Schulen etwas massiv verkehrt und das zieht sich durch alle Schularten. An dieser Stelle sei erwähnt, dass unsere Berufsschulen hier eine Mammutaufgabe leisten, um diese Kompetenzen auszubilden.“
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Thorben Grübnau, Ausbilder und Küchenchef im Patentkrug in Oldenburg und Vizepräsident des Verbands der Köche Deutschland e. V., kann dies bestätigen: „Bereits vor Corona hatten insbesondere ehemalige Gesamtschülerinnen und -schüler zum Teil große Probleme mit einfachsten schulischen Inhalten. Dazu gehörten Grundrechenarten und einfaches Allgemeinwissen ebenso wie Lese- und Schreibfähigkeiten. Während Corona haben sich einige Defizite zusätzlich noch verstärkt, vor allem Konzentrationsschwächen, Merkfähigkeiten und einfache Sozialkompetenzen haben bei den jungen Menschen gelitten. Derzeit müssen vom Ausbildungsbetrieb und vom Ausbildungspersonal sehr viel Kraft und Ideen aufgewendet werden, um die angehenden jungen Fachkräfte zum Durchhalten zu motivieren.“
Stefan Dietl, Ausbildungsleiter der Festo Didactic SE, sieht weitere Gründe für das Nachwuchsproblem: "Bei den Bewerbern gilt – sicherlich auch durch die Medienberichterstattung – die eine oder andere Branche als 'sicherer', während andere in den Rankings als 'unsicherer' eingestuft werden und daher an Attraktivität für die Bewerbern verloren haben. Trotz vieler virtueller Aktivitäten seitens der Unternehmen zeichnet sich bei einigen eine verschärfte Situation beim Besetzen von offenen Ausbildungsplätzen ab. Es gilt daher alle Register zu ziehen, um sich als Ausbildungsunternehmen bei potenziellen Bewerbern zu präsentieren."
Für Katja Caspari erschweren weitere Faktoren die Aufnahme einer Berufsausbildung, denn "auch soziale Herausforderungen sind mehr geworden, da beispielsweise der Wohnungsmarkt für Auszubildende nahezu unerschwinglich ist und neben Geld- und Wohnungssorgen, auch häufig Stress mit den Eltern vorprogrammiert ist. Damit müssen sich Ausbilder heute vermehrt auseinandersetzen. Die psychischen Erkrankungen und die Anzahl derer, die bereits in einer Therapie waren oder sind, ist in den letzten Jahren gestiegen. Für den Umgang mit solchen Auszubildenden müssen wir unsere Ausbilder dringend weiterqualifizieren."
Um diesen Defiziten also aktuell und in Zukunft entgegenzutreten „kommen arbeits- und berufspädagogischen Kenntnissen von Ausbildungspersonal immer mehr Bedeutung zu“, erklärt Jutta Mohamed Ali, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands Deutscher Berufsausbilder e. V. "Die gesamte Arbeitswelt wird sich durch diese und die kommenden Generationen deutlich verändern. Betrieben fällt dadurch heute noch wesentlich stärker als früher eine große Erziehungsaufgabe zu, die sie wahrnehmen werden müssen, wenn sie ihre Betriebe langfristig aufrechterhalten, Fachkräfte anstellen und Kunden weiterhin bedienen wollen." Mohamed Ali räumt ein, dass es nicht einfach sein wird, diesen Spagat zu schaffen, denn "so hart wie es klingt: Irgendwie sind die Betriebe das Ende der Nahrungskette und müssen Versäumnisse aufarbeiten, die die jungen Nachwuchskräfte durch ihre bisherige Lebenserfahrung aufweisen.
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Und wenn junge Menschen immer weniger auf das Berufsleben vorbereitet sind, verlangt es immer bessere pädagogische Fähigkeiten des Ausbildungspersonals, um aus ihnen trotzdem tolle Mitarbeitende zu machen.“ Wichtig sei es, das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Aus- und Weiterbildungspädagogik wichtige Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten umfasst. „Dies wird in vielen Betrieben noch zu wenig wertgeschätzt und gefördert“, so Mohamed Ali.
Katja Caspari ergänzt: „Das Ausbildungspersonal ist nur so gut wie die Rahmenbedingungen. Sieht der Betrieb die Auszubildenden nur als billige Arbeitskräfte und die Ausbildung als ‚Nebenjob‘ für die Mitarbeitenden, wird sich das auch in der Zufriedenheit und der Abbrecherquote bei allen Beteiligten spiegeln.“ Das Nachwuchsproblem gebe es nämlich nicht nur in Bezug auf Auszubildende, sondern auch bezüglich des Ausbildungspersonals.
Stefan Dietl würde "seitens der Unternehmen mehr Erfolgsstorys im Sinne von 'Kariere mit Lehre' befürworten, um dem Trend der zunehmenden Akademisierung entgegenzuwirken. Ich würde es begrüßen, wenn z. B. die Lehrerausbildung stärker mit dem Themenfeld Berufsausbildung verzahnt wird. Lehrerpraktika im Ausbildungsumfeld oder der Besuch von Fortbildungsveranstaltungen über Anforderungen in der Wirtschaft etc. könnten fruchtbar sein. Nicht selten geht die Karriere von Lehrern vom Abitur an die Uni in die Lehre – und Ausbildung spielt im Zweifel nur eine periphere Rolle.“
„Wenn wir nach einem besseren Image der Ausbildung rufen, sollten wir auch für ein besseres Image im eigenen Unternehmen sorgen“, fordert Katja Caspari. Was sie meint, ist die Notwendigkeit, bei sich selbst anzufangen und die Ausbildung für alle Beteiligten so ansprechend wie möglich zu gestalten. Auch Thomas Holzmann, Bundestrainer von WorldSkills Germany in der Disziplin „Nutzfahrzeugtechnik“, weiß, was hier seitens der Unternehmen in Zukunft zu leisten ist: „Im Fokus wird zunehmend stehen, welche Vision ein Unternehmen vertritt und ob sich die künftigen Auszubildenden damit identifizieren können. Dabei denke ich an Faktoren wie Nachhaltigkeit, die Förderung von Mitarbeitenden, Work-Life-Balance und Teamgeist.“
Aber auch eine monetäre Aufwertung der Berufe sei an der Zeit. Dies wünscht sich auch Thorben Grübnau: „Die Aus- und Weiterbildung in der Gastronomie braucht meines Erachtens eine höhere wirtschaftliche Wertschätzung.
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Es kann nicht sein, dass Kochazubis mit Ausbildungsgehalt im Vergleich zu einer ungelernten Kraft mit Mindestlohn schlechter abschneiden.“ Auch würden weiterführende Qualifizierungen zwar gerne gesehen und für die Unternehmensentwicklung genutzt, führten aber selten zu einer Erhöhung des Gehalts.
Katja Caspari bestätigt: "Auszubildende haben heute andere Lebensentwürfe und wünschen sich vom Arbeitgeber Flexibilität, neue Technologien, Werteorientierung und das der ausbildende Betrieb mit der Zeit geht und modern ist. Den jungen Menschen ist schnell klar, ob sie in dem Unternehmen ihre Arbeitsmarktfähigkeit ausbauen können oder nicht." Als Beispiel für ein fortschrittliches Aus- und Weiterbildungssystem führt sie die Firma EOS aus Krailling bei München an. Das Unternehmen hat verschiedene Lernpfade zu möglichen Jobrollen entwickelt, sodass jeder seinen Weg im Unternehmen gehen kann. "Auch der Bäcker 'Die Brotpuristen' geht neue Wege, indem er die Arbeitszeiten aus der Nacht in den Tag gelegt hat und auch die Bezahlung stimmt", so Caspari. "Ein System, welches auf alle passt, kann es nicht geben, denn die Unternehmen sind sehr unterschiedlich. Was wir aber beobachten ist, dass Betriebe, die ihre Ausbilder qualifizieren, geringere Abbrecherquoten haben als Betriebe, die da keine Qualifizierungssystematik haben. Das würden wir uns flächendeckend verpflichtend wünschen."
Stefan Dietl sieht für die Zukunft weitere Herausforderungen, wie z. B. „Veränderungen der Berufsbilder und Technologien bis hin zur Frage, 'wie' wir ausbilden. Unternehmen könnten sich zum Beispiel noch mehr mit allgemeinbildenden Schulen verzahnen und über virtuelle Praktika – auch in Corona-Zeiten – im Umfeld der Schülerinnen und Schüler präsent sein.“ Und er ergänzt: "Meiner Meinung nach wird es zur Normalität, dass wir den Prozess 'Neue Berufsbilder einführen, andere ausphasen' begleiten müssen. Für Unternehmen bedeutet dies, agil organisiert zu sein, um sich den laufenden Veränderungen schnell anpassen zu können."
Torsten Lippoldt, Ausbildungsmeister bei der Sachsen-Energie AG und WorldSkills-Bundestrainer in der Disziplin "Elektroinstallation" denkt, dass sich die Ausbildung in Zukunft immer mehr digitaler Hilfsmittel bedienen werde. "Gerade AR und VR werden an Bedeutung gewinnen. Dies darf allerdings nicht das Allheilmittel sein, sondern sollte als sinnvolle Ergänzung zu herkömmlichen Ausbildungsmethoden dienen.
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Ich denke der Ausbilder wird sich immer mehr in Richtung eines Mentors bzw. Coaches bewegen, wobei auch die herkömmliche 'frontale' Unterweisung weiterhin ihre Daseinsberechtigung haben wird."
Die Vermittlung von Inhalten birgt auch laut Jutta Mohamed Ali Chancen für neue Herangehensweisen: "Meiner Meinung nach gibt es nicht DAS eine Best Practice Beispiel, sondern viele, für verschiedene Themen. Das Ideal der Ausbildung der Zukunft wäre es, alles miteinander zu verbinden und im Blick zu haben, dass aber auch nicht alles in jedem Betrieb sinnvoll ist. Der Einsatz von digitalen Ausbildungsmitteln steht hier an erster Stelle." Als Beispiel führt sie das digitale Berichtsheft an. "Sinnvoll eingesetzt, kann daraus ein tolles lebendes Dokument entstehen, dass durch zusätzliches Abspeichern von Bildern, Videos, Texten etc. einen wichtigen Mehrwehrt für die Kompetenzdokumentation des Azubis hat. Die moderne Hirnforschung hat aber ebenfalls herausgefunden, wie wichtig es ist, mit der Hand zu schreiben, weil es das Lernen im Gehirn besser vernetzt. Also ist nicht die Frage 'das eine oder das andere?', sondern die ideale Verbindung von digital und analog." Genauso sei es laut Jutta Mohamed Ali bei den Ausbildungsmedien: "Es sollten digitale Medien wie E-Learnings, Serious Games, Planspiele etc. vermehrt Einzug in die Ausbildungswelt halten, aber auch die Fähigkeit, sich mit längeren Texten wie Leittexten, Fallstudien und Lernaufträgen beschäftigen zu können und damit vor allem Konzentration zu fördern, sollte nicht vergessen werden.“ Dies bedeute jedoch auch, dass Ausbildungspersonal das pädagogische Können braucht, um die gesamte Palette der Möglichkeiten in der Ausbildung zu nutzen. „Betriebe, und da meine ich vor allem die Geschäftsleitung, müssen Ausbilderinnen und Ausbildern auch die Zeit einräumen, sich damit beschäftigen zu können.“
Torsten Lippoldt sieht hier auch Handlungsbedarf vor allem im Bereich der Berufsschulen. Deren technische Ausstattung ließe, wie auch in vielen Oberschulen, zu wünschen übrig. „Hier stößt der Föderalismus an seine Grenzen. Es kann nicht sein, dass Milliarden für die Digitalisierung der Schulen zur Verfügung stehen, diese aber von den kommunalen Trägern nicht abgerufen werden“, so Lippoldt. In Bezug auf die Vermittlung und Festigung von Ausbildungsinhalten macht er einen konkreten Vorschlag: „Ich denke, eine Integration der Strategie ‚Lernen im Wettbewerb‘, wie sie von WorldSkills Germany verfolgt wird, wäre sowohl in der Theorie als auch in der Praxis ein Denkansatz.“ Durch die Integration beruflicher Wettbewerbe in den Ausbildungsalltag könne sowohl eine persönliche und fachliche Weiterentwicklung von Auszubildenden erfolgen als auch die Motivation in der Ausbildung gesteigert werden.
Katja Caspari fordert, die Ausbildungsrahmenpläne schneller auf aktuelle Geschehnisse anzupassen. "Der Rahmenplan für Industriekaufleute ist 20 Jahre als und dort findet man nichts über ERP-Systeme oder Industrie 4.0. Der Kaufmann/-frau für eCommerce ist zwei Jahrzehnte nach dem Start von Amazon in Deutschland auf den Markt gekommen. Das ist viel zu spät." Das duale System sei laut Thomas Holzmann dabei noch immer ein Erfolgsmodell "mit der Vermittlung des theoretischen Wissens in der Berufsschule und des Praxiswissen bzw. spezifischen Know-how in den Unternehmen." Thorben Grübnau merkt jedoch an: "Das duale Ausbildungssystem funktioniert meines Erachtens nur, wenn alle Beteiligten zusammenarbeiten und sich gleichermaßen einbringen, vor allem im praktischen Bereich. Bei Gesellenprüfungen werden die Defizite oftmals besonders deutlich, Berufsschulen und Betriebe müssen sich hier gegenseitig noch mehr unterstützen."
Als Stellschrauben für die Zukunft der Ausbildung sieht Jutta Mohamed Ali erstens "mehr Bewusstsein bei der Unternehmensleitung über die Anforderungen der Generation Z und der Herausforderungen, die das an Zeit und Geld für die betriebliche Ausbildung stellt." Weiterhin müsse das Ausbildungspersonal länger und besser qualifiziert werden, "weil diese Qualifikationen, die heute notwendig wären, im Ausbilderschein nicht vermittelt werden". Darüber hinaus sollten mehr hauptberufliche Ausbilderstellen geschaffen werden. Als vierte Stellschraube führt sie an, dass das "Ausbildungspersonal zu permanenter Fort- und Weiterbildung verpflichtet" werden sollte. Katja Caspari ergänzt und fordert: "Wir müssen die Ausbilder als Führungskräfte behandeln und bezahlen und deren Persönlichkeitsentwicklung genau so fördern, da sie Menschen führen und darüber hinaus auch die charakterliche Bildung in ihrem Auftrag steht. Wir würden uns wünschen, dass der Fokus in der Ausbildung wieder auf das Fachkönnen anstatt auf die Prüfungsökonomie gelegt wird."
Fazit: Die Zukunft der Ausbildung hängt nicht nur von neuen Tools und aktualisierten Ausbildungsinhalten ab. Vielmehr müssen die passenden Rahmenbedingungen vorhanden sein, um ausreichend junge Menschen für eine Ausbildung zu gewinnen und sie entsprechend auf das Berufsleben vorzubereiten. Damit einher geht vor allem auch die Förderung des Ausbildungspersonals und die Wertschätzung dessen Leistung im Bereich der Aus- und Weiterbildungspädagogik.
Weitere Fachbeiträge und Best-Practices finden Sie im WorldSkills Germany Magazin, dem Fachmagazin für Talentmanagement, berufliche Wettbewerbe und außerschulisches Lernen.
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