Autorin: Sabine Schäfer
Sabine Schäfer ist niedergelassene Psychologische Psychotherapeutin in eigener Praxis in Weilheim/Teck und stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV). Sie ist als Fachberaterin in Gremien des deutschen Gesundheitswesens und als Dozentin für die Akademie DPtV Campus aktiv und ist Supervisorin im Rahmen der staatlichen Ausbildung zum Psychotherapeuten.
Angst ist ein Gefühl, das niemand gerne erlebt – dabei weckt sie in uns grundsätzlich ein positives und hilfreiches Potenzial. Gerade in Stresssituationen und bei Prüfungen. Je mehr wir uns einer Situation ausgeliefert fühlen, je mehr diese nicht beeinflussbar scheint, können sich Angstgefühle destruktiv auswirken. Wie kann die Kraft der Angst positiv genutzt werden?
Angst ist eines dieser Gefühle, die niemand gerne hat – dabei weckt sie grundsätzlich ein positives und hilfreiches Potenzial, das in uns steckt. Sie kann aber auch blockieren und zerstörerisch wirken, wenn sie nicht in ihrer positiven Kraft wahrgenommen wird. Gerade in Stresssituationen und bei Prüfungen. Dann, wenn die Sorge aufkommt, eventuell zu scheitern. Wie kann die Kraft der Angst aber positiv genutzt werden?
Angst ist ein hilfreiches Gefühl: Sie macht umsichtig, dient dem Schutz vor Gefahren, erhöht die Leistungsfähigkeit und fokussiert auf das Ziel, das erreicht werden möchte. Wichtig ist, neben der Angst das Kompetenzgefühl zu behalten, also das Gefühl, die Situation positiv beeinflussen zu können. Denn nur so kann sie positiv wirken. Wird die Angst jedoch zu groß und wir befürchten, dass unsere Fähigkeiten nicht ausreichen, unser Ziel zu erreichen, kann dieser Zustand blockieren und lähmen.
Zu der Angst vor der Situation als solcher kommt häufig die Angst vor den Konsequenzen bei einem Versagen. Ist mit dem Erreichen des Ziels zusätzlich das eigene Wertigkeitsgefühl verknüpft, können sich zum Beispiel Prüfungsängste verstärken: Prüflinge entwickeln dann das Gefühl, dass sie nicht nur bezüglich des Inhalts, sondern als ganze Person auf dem Prüfstand stehen. Die Angst, bei einem Versagen abgelehnt oder abgewertet zu werden, spielt dann eine große Rolle. Beim ständigen Durchspielen der Situation in der Vorbereitungsphase entwickelt sich häufig ein dramatisches und negatives „Kopfkino“, was noch mehr Druck produziert und im schlimmsten Fall zur völligen Blockade führen kann.
Foto: Sabine Schäfer
Angst wirkt auf unser Gemüt und auf unseren Körper – und das hat auch seine hilfreichen Auswirkungen: Sie setzt Stresshormone frei, die leistungsfähiger machen und auf diese Art helfen, uns auf ein bestimmtes wichtiges Ziel zu fokussieren und es durchzustehen. Diese Aktivierung erhöht die Aufmerksamkeit, die Reaktionen und die Energie im Körper. Gleichzeitig werden alle „unwichtigen“ Prozesse im Körper herabgesetzt, wie Hunger und Verdauung, Erholungsbedürfnisse, breite Aufmerksamkeit. Insgesamt kann die Stimmung auch aggressiver und kämpferischer werden.
Ist die Angst, das Ziel nicht zu erreichen, aber mit einem Katastrophenbild verknüpft, kann sie sich so vehement vergrößern, dass sie uns blockiert und wir unsere Leistungsfähigkeit verlieren. Wir können uns sogar so in den Angstgedanken verlieren, dass wir uns mehr mit ihr als mit der bevorstehenden Situation beschäftigen und vielleicht sogar die Situation vermeiden, also gar nicht erst zur Prüfung oder dem Wettkampf antreten. Wie aber befreit man sich aus dieser Spirale? Es geht darum, Ängste und Kompetenzgefühl in eine Balance zu bringen und auch einen möglichen negativen Ausgang, zum Beispiel Versagen bei einer Prüfung, zu entkatastrophisieren.
1. Angstpotenzial als Leistungssteigerung nutzen: Kompetenzen einüben
Ängste helfen, unser Leben für einige Zeit auf ein bestimmtes Ereignis zu fokussieren – wie zum Beispiel die anstehende Prüfung. Andere Dinge werden dafür zurückgestellt, um Aufmerksamkeit, Zeit und Energie auf die Vorbereitung für die Prüfung zu verwenden. Das ist auch gut so. Dieses Potenzial kann man nutzen, um den „Tunnelblick“ zu bekommen und sich zu fokussieren. Dafür muss man sich und der Prüfung Zeit und Raum geben. Wichtig dabei: Familie, Freund/innen und den Betrieb informieren, dass diese Zeit notwendig ist und einige normale Aktivitäten hintenanstehen müssen.
2. Ängste geben Hinweise auf Unsicherheiten und Kompetenzlücken: keine zu starren Ziele setzen
Ängste geben gute Hinweise, wo wir uns unsicher fühlen, Lernlücken haben, uns noch innerlich auf die Prüfungssituation einstellen müssen. Auf diese Hinweise sollte man hören! Es ist wichtig, diese Ängste auszusprechen, sich jemandem mitzuteilen. Dann kann man diese fokussiert angehen oder vermeintliche Inkompetenzen mit einer Reflexion in das „richtige Licht“ rücken. Das funktioniert aber nur im Austausch. Denn Ängste engen Kreativität und damit auch das Auffinden von Lösungsmöglichkeiten ein. Der/die Gesprächspartner/in kann hier hilfreiche Perspektiven aufzeigen. Dabei sollte auch das Prüfungsziel hinterfragt werden: Zählt nur eine Bravour-Leistung, ist der Druck viel höher als wenn alle alternativen Ziele wie zum Beispiel das bloße Bestehen der Prüfung mit einbezogen werden.
3. Gute Vorbereitung fördert das Selbstwirksamkeitsgefühl und reduziert Ängste
Zu einer guten Vorbereitung gehört auch ein zeitlicher Plan, was in welchem Zeitabschnitt gelernt werden sollte. Das gibt Struktur und Sicherheit, dass bis zum Prüfungstag auch die ausreichende Kompetenz für die bevorstehende Prüfung erreicht werden kann.
Bei Prüfungen gibt es immer eine Lücke, auf die man sich nicht vorbereiten kann. Doch hier hilft es, sich an andere Situationen zu erinnern, auf die man zuvor ebenfalls nicht vorbereitet war und die man dennoch gemeistert hat. Das macht Mut – und Mut ist ein exzellenter Begleiter des Angstpotenzials.
4. Entspannung und Spaß gehören zu einer guten Vorbereitung
„Ein leerer Magen lernt nicht gern!“ Das gleiche gilt auch für Leere in unserem Lebensgefühl. Daher gilt, in der Vorbereitungszeit für ausreichend Spaß zu sorgen, für soziale und emotionale Nähe als Ausgleich zum Lernen.
5. Ängste zu Ende denken: Was kann gut daran sein, wenn der Erfolg nicht eintritt?
Angstvorstellungen werden oft nur bis zum Versagen gedacht und drehen sich dann in der Versagenssituation im Kreis. Es lohnt sich, diese Ängste zu Ende zu denken – aber nicht allein. Auch hier sollte man in den Austausch gehen, um Ideen zu sammeln, wie sich beispielsweise die Lebenssituation weiterentwickeln kann, wenn man bei einer Prüfung nicht so gut abschneidet oder gar durchfällt. Denn: Jede Lebenssituation birgt eine Chance und etwas Gutes. Das Leben geht immer weiter und jeder hat es selbst in der Hand, wie.
6. Eine Probeprüfung hilft: Hier wird der Ernstfall geübt
Eine Generalprobe übt den Ernstfall. Eine Probeprüfung, die so genau wie möglich der Prüfungssituation gleicht, schafft Prüfungskompetenzen und zeigt gleichzeitig Lücken auf, die bis zur Prüfung noch aufgearbeitet werden können. Gleichzeitig wird das Durchhaltevermögen bei Stress für die Ernstsituation trainiert.
7. „Stopp“ und sich selbst gut zureden
In der Prüfung kann es sein, dass man plötzlich „hängen bleibt“, ins Zweifeln kommt, sich vertut. Das ist nicht schlimm, Prüfungen sind Herausforderungen und bringen uns manchmal an unsere Grenzen. In einer solchen Phase hilft es, „Stopp“ zu den Versagensängsten zu sagen. Mehrfach. Laut, sofern das möglich ist. Auch wenn man mit dem Gedanken spielt, die Prüfung abzubrechen. Gedanken an ein Versagen ziehen viel Energie und bringen uns immer weiter davon weg, eine Lösung zu suchen und zu finden. Daher muss man sich in diesen Momenten selbst Mut zusprechen: „Ich schaffe das!“ Immer wieder, wiederholend und ruhig wie ein Mantra, solange, bis sich das Gefühl dazu einstellt.
8. Tief durchatmen und bewusst Körperpartien entspannen
Auch aus einer blockierenden Angstsituation kann man sich wieder befreien. Dazu muss man sich erst beruhigen. Am besten gelingt das, wenn man mehrmals tief ausatmet. Bewusst Muskeln im Kiefer und im Nacken entspannt. Die Schultern bewusst wieder nach unten sacken lässt. Dabei kann man auch, sofern möglich, ein wenig hin und her gehen.
9. Sich für einen Moment in eine glückliche Erinnerung „beamen“
An eine entspannte glückliche Situation zu denken, kann ebenfalls beruhigen. Dieses Wegbeamen sollte man aber rechtzeitig vor der Prüfung üben, um eine geeignete entspannende Situation zu finden. Dies kann z. B. eine Erinnerung an ein Sonnenbad am Strand sein. Wichtig bei der Imagination ist, dass man sich dabei auch an die (entspannten) Körpergefühle erinnert und diese abruft.
10. Der Ausgang einer Prüfung ist ungewiss: Was soll‘s! Unsicherheit ist ok.
Oft spüren Prüflinge ein Prickeln, eine innere Aufregung. Das kann ein schönes, besonderes Gefühl sein! Nicht umsonst gehen einige Menschen Fallschirmspringen oder machen Bungee Jumping. Prüfungsangst kann man auch bewusst genießen. Denn Unsicherheit ist ok. Man gibt sein Bestes. Dabeisein ist alles. Sich einer Prüfung zu stellen, ist mutig. Diese durchzustehen ist eine Leistung, egal wie die Prüfung ausgeht.
11. Die durchgestandene Prüfung feiern!
Prüfungen sind ein wichtiger Abschnitt im Leben. Man hat sich der Prüfung gestellt, sie durchgestanden, sich vorab für ein gutes Ergebnis eingesetzt. Freund/innen, Kolleg/innen und andere liebe Menschen haben einen unterstützt. Das ist ein Grund zu feiern!
Am Ende gilt: Ob man sich nun selbst vor einer Prüfungssituation befindet, als Ausbilder/in Auszubildende begleitet oder sich in einem Wettkampf messen will: Wichtig ist zu wissen, dass man seine Ängste beeinflussen und auf das positive Maß reduzieren kann. Dann kann Prüfungsangst positiv genutzt werden und trägt zu einem guten Ergebnis bei. Dafür muss man die Angst als Aktivierungsmodus verstehen. Alle angstbesetzten Situationen in unserem Leben sind ein wichtiges förderliches Erlebnis. Es gilt, dieses Aktivierungspotenzial, das in jedem von uns steckt, zu nutzen und es gewinnbringend einzusetzen.
Weitere Informationen zu Sabine Schäfer erhalten Sie auf www.praxisschaefer.de.
Weitere Informationen zur Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung finden Sie auf www.dptv.de
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