Haben diese jungen Menschen keine Lobby?

28. November 2018

Wie groß ist das Interesse Deutschlands an hervorragend ausgebildeten Nachwuchskräften wirklich?

Sie sind allesamt Top-Fachkräfte, nicht einmal 25 Jahre alt und üben ihre Berufe mit Leidenschaft aus. Diese jungen Menschen sind wahre Champions, denn sie haben bei der Europameisterschaft der Berufe, den EuroSkills Budapest 2018, nicht nur gezeigt, was sie fachlich drauf haben. Sie wagten es, Deutschland und damit das duale Ausbildungssystem auf internationaler Ebene zu vertreten und kehrten mit 17 Auszeichnungen, darunter 3 x Gold, 3 x Silber und 2 x Bronze, nach Hause zurück. Nun sind sie Zugpferde, wenn es um die Attraktivität dualer Ausbildungsberufe geht. Denn auch die berufliche Bildung ermöglicht top ausgebildeten Nachwuchs – junges Fachpersonal, dass so dringend in Deutschland benötigt wird. Ihre persönlichen Erfolgsgeschichten sollten erzählt und in die Öffentlichkeit getragen werden.

Das unterstrichen auch zahlreiche Bundestagsabgeordnete beim Parlamentarischen Abend von WorldSkills Germany, der Förderinitiative für nationale und internationale Berufswettbewerbe. Diese hatte das hervorragende Abschneiden der Berufe-Nationalmannschaft vergangene Woche gemeinsam mit 80 Gästen aus Politik, Wirtschaft und Bildung gebührend gefeiert. Es war ein Abend voller spannender Gespräche und zukunftorientierten Ideen und Impulsen. Die jungen Spitzentalente inspirierten dabei die Politiker und Gäste mit ihren klaren Aussagen und Wünschen in Sachen berufliche Bildung und Förderung der nicht-akademischen Berufe.

„Der Stolz, der aus den Blicken dieser jungen Wettkämpfer spricht, schafft weit mehr als jede Kampagne. Er ist letzten Endes das Elixier, bei dem alle sagen: ‚Das möchte ich auch hinkriegen.‘ Natürlich wird es immer nur einige Wenige geben, die auf Podien stehen können. Aber es sind Diejenigen, die als Vorbilder gelten. Und wenn wir es ermöglichen können, durch das Schaffen von Rahmenbedingungen, durch Unterstützung und dergleichen mehr, dass dieser Stolz richtig rüberkommt - und der spricht aus diesen Augen wie nichts anderes - dann haben wir schon eine ganze Menge erreicht. Dann nützt keine Politiker-Sonntagsrede oder dergleichen mehr. Das ist tausendmal mehr wert und das müssen wir viel mehr transportieren“, betonte Stephan Albani, Mitglied des Deutschen Bundestages (CDU/CSU) und Mitglied der Enquete-Kommission ‚Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt‘ beim Parlamentarischen Abend voller Euphorie. „Wir Älteren selbst sollten aber auch mehr zu Werbeflächen der Zukunft werden. Wie viele von Ihnen kommen abends nach Hause und sagen: ‚Ich bin Elektrotechniker, Stuckateur, Maler und Lackierer usw. und das war ein schöner Tag und die Kunden waren toll und sie haben mich ordentlich bezahlt und es war alles Spitze.‘ Das wäre eine Werbefläche. Wenn Sie aber abends nach Hause kommen und sagen: ‚Ich bin überbeschäftigt, unterbezahlt und der Kunde war doof.‘ - wer von Ihnen glaubt dann, dass er eine Werbefläche für seine Kinder und deren Zukunft ist?“

„Gerade die Berufswettbewerbe tragen sehr dazu bei, dass alle Berufe ihre entsprechende Anerkennung erfahren“, bestätigte Erwin Rüddel, Mitglied des Deutschen Bundestages (CDU/CSU) und Vorsitzender des Ausschusses für Gesundheit. „Was die Pflege betrifft, da möchte ich der Europameisterin Elisabeth Hölscher auch ganz herzlich danken und gratulieren. Wir brauchen in den nächsten Jahren 100.000 zusätzliche junge Menschen und auch Ältere, die bereit sind, in den Pflegeberuf einzusteigen. Und so junge erfolgreiche, sympathische und hochqualifizierte Menschen wie Elisabeth Hölscher machen den Menschen Mut, in diesem Beruf auch wirklich tätig zu werden.“

„Sie machen heute hier deutlich, dass die berufliche Bildung wirklich gleichzusetzen ist im Anspruch und mit der Wertigkeit mit dem, was eine akademische Ausbildung ausmacht“, stellte Dr. Dietlind Tiemann, Mitglied des Deutschen Bundestages (CDU/CSU) und Mitglied der Enquete-Kommission ‚Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt‘ sowie des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung heraus. „Die Tatsache, dass sich insbesondere unsere jetzige Bundesregierung dazu entschieden hat, die berufliche Bildung wirklich in den Vordergrund zu stellen mit der neu gegründeten Enquete-Kommission, macht deutlich, dass die berufliche Bildung einen neuen Stellenwert erhalten muss.“

Die Enquete-Kommission ‚Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt‘ war nach der konstituierenden Sitzung Ende September am 26. November 2018 zu ihrer ersten Sitzung zusammengekommen. 19 Bundestagsabgeordnete, darunter einige Gäste des Parlamentarischen Abends von WorldSkills Germany, sowie 19 externe Sachverständige sollen bis 2021 Entwicklungspotentiale und Strategien erarbeiten, wie die berufliche Aus- und Weiterbildung der Zukunft aussehen kann. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Stärkung der Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung.

Dr. Jens Brandenburg, Mitglied des Deutschen Bundestages (FDP) sowie Mitglied der Enquete-Kommission ‚Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt‘ und des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung betonte: „Es muss zum Beispiel auch durch praktische Berufsorientierung das Gefühl vermittelt werden, dass, wenn man durch die berufliche Bildung zu einem ordentlichen Abschluss kommt, man in vielen Berufen heute schon deutlich mehr verdienen kann als mit vielen akademischen Abschlüssen. Das sind Dinge, die Vielen gar nicht bekannt sind. Da finde ich im zweiten Schritt haben wir auch auf politischer Ebene große Aufgaben vor uns, mit dieser Gleichwertigkeit endlich einmal Ernst zu machen.“ Brandenburg führte hier zwei Beispiele an. Zum einen die Möglichkeit, ohne große Herausforderungen auch im Ausland einen Teil der Ausbildung zu absolvieren. „Es gibt den DAAD an den Hochschulen. Da muss man sich als Student quasi nur melden und bekommt ein Rund-um-sorglos-Paket“, so der FDP-Abgeordnete. Das sei, laut Brandenburg, in der beruflichen Bildung mit den hohen bürokratischen Hürden an vielen Stellen sehr schwierig. Als zweites Beispiel führte er das Thema Begabtenförderung an. „Ja, auch in der beruflichen Bildung gibt es so etwas wie Aufstiegsstipendien, aber bei Weitem nicht in dem Umfang, wie wir das im Hochschulbereich kennen. Ich möchte gern, dass wir den dreizehn Begabtenförderwerken, angefangen bei der Studienstiftung bis hin zu allen anderen, auch im politischen Bereich, die Möglichkeit geben, auch die besten Talente aus der beruflichen Bildung zu fördern. Für uns als Gesellschaft wäre es sicher gut, wenn diese Säulen nicht mehr ganz so separat aneinander vorbei diskutieren, sondern dass das, was wir mit der Durchlässigkeit immer wieder einfordern, auch sehr früh schon gelebt wird.“

In den Gesprächsrunden auf dem Podium des Parlamentarischen Abends wurden auch die Themen Weiterbildung und Digitalisierung der Ausbildungs- und Arbeitswelt diskutiert. Die Bundestagsabgeordnete Margit Stumpp (Bündnis 90/Die Grünen), Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, verwies bei Ersterem auf die mangehlaften finanziellen Rahmenbedingungen: „Auch die Weiterqualifizierung kostet Geld. Wenn ich sehe, was bei uns Meisterkurse kosten, dann ist das wirklich eine ganz große Hürde. Da müssen wir anfangen, etwas zu tun. Wenn wir von Gleichwertigkeit der dualen Bildung und des Studiums sprechen, dann muss man sagen, das Studium ist kostenfrei - wir haben die Studiengebühren ja zum Glück wieder zurückgeholt - aber die Ausbildung ist in vielen Bereichen eben nicht kostenfrei und genauso ist es dann mit der Weiterbildung. Solange die Weiterbildungen sehr teuer sind und solange nur der Arbeitgeber bestimmt, was weitergebildet werden kann, werden wir da keine Perspektiven haben. Aber wir wollen ein Recht auf Weiterbildung und wir wollen, dass diese Kosten nicht von demjenigen getragen werden müssen, der sich bildet.“

„Im Zeitalter der Digitalisierung, unabhängig davon ob in der akademischen oder beruflichen Bildung und fast auch unabhängig in welcher Branche, wird es im Beruf nicht mehr ausreichen, nur am Anfang etwas zu lernen. Wir werden ein Leben lang immer neu dazulernen müssen, weil sich die Technologie unserer Arbeitswelt immer schneller wieder ändert“, blickte Brandenburg auf die Zukunft. „Wenn man mit Mitte 40 im Job drin ist und sagt, ich möchte jetzt nochmal ein paar Wochen Fortbildung oder vielleicht auch mal abends oder am Wochenende hier und da kleine Module draufsetzen, dann muss das entsprechend anerkannt und zertifiziert werden.“

In Bezug auf die jungen Menschen und die Digitalisierung betonte Stephan Albani: „Ein wesentlicher Inhalt von Erziehung ist nicht, Bahnen vorzugeben und damit das Töten von Kreativität, sondern das gemeinsame Herausholen von Kreativität zur Gestaltung der Zukunft. Ich glaube, viele Kinder – und ich bin Vater von drei Kindern – sind in der Digitalisierung schon wahrlich gut angekommen. An dieser Stelle geht es darum, die Kreativität, die sie dabei haben, nicht zuzuschütten, sondern sie zu bahnen, sie zu Wegen neuen Lernens zu führen und nicht immer den Finger zu erheben und zu sagen: ‚Achtung, das habe ich früher nicht gehabt und aus mir ist auch etwas geworden, also lass die Finger davon.‘. Es bedarf einer Begeisterung, eines Aufbruchs in diese Richtung. Da sollten wir, die ältere Generation, die Rahmenbedingungen schaffen und das Sprungbrett liefern, mit dem Wissen, dass das, was dort kommen wird, wir in gewisser Weise nur erahnen können, aber vor allem den jungen Menschen die Möglichkeit geben, ihre Kreativität zu entfalten.“

„Ich glaube nicht, dass wir mehr Ordnungsrahmen brauchen. Ich glaube, die Deutschen haben genug Ordnung. Wir haben genug Gesetzte, wir haben genug Bürokratie. Ich glaube, wir müssen auf einigen Stufen manchmal aber noch über die Klippe springen und sagen, wir wollen Schnelligkeit.“ Marc Biadacz, Mitglied des Deutschen Bundestages und Mitglied in den Ausschüssen für Arbeit und Soziales, Digitale Agenda und im Petitionsausschuss, apellierte beim Parlamentarischen Abend von WorldSkills Germany am Ende der Gesprächsrunden an die Answesenden und die Gesellschaft im allgemeinen: „Wir müssen uns wieder sagen, dass Leistung Spaß machen kann. Und wir werden noch mehr leisten müssen, weil die Chinesen gerade unheimlich viel leisten und sie werden uns zeigen, wie das Tempo ist. Deswegen würde ich mir wirklich wünschen, von uns allen und auch von der Politik, dass wir wieder ein bisschen Schnelligkeit hinbekommen in Deutschland. Denn alles andere haben wir. Wir haben eine gute Ausbildung, wir haben eine bestimmte Wertebasis, wir haben einen tollen Rechtsstaat. Wenn wir jetzt noch ein bisschen auf die Tube drücken, dann steht uns alles offen.“

Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, gratulierte der Berufe-Nationalmannschaft zu den zahlreichen Auszeichnungen und stellte den Vorbildcharakter der jungen Fachkräfte heraus. In seiner Ansprache richtet er sich aber auch direkt an die anwesenden Bundestagsabgeordneten: „Meine Damen und Herren Parlamentarier, wir brauchen Sie. Wir brauchen die Verkünder, die sagen, dass die berufliche Bildung gleichwertig ist zur akademischen Bildung. Wir brauchen die politische Flankierung unserer eigenen zahlreichen Bemühungen.“

Hubert Romer, Geschäftsführer von WorldSkills Germany und Moderator des Abends, resümierte: „Diese Menschen sind zwar nicht die Lobby ihrer Berufe, aber wichtige Botschafter, die tausende in Deutschland inspirieren. Sie beweisen uns, dass es sich lohnt, berufliche Bildung zum zentralen Thema politischer Arbeit zu machen und in der Öffentlichkeit zu berichten. Ich fühle mich diesen jungen Talenten zu großem Dank verpflichtet.“

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