Zwischen Tradition und Moderne

29. August 2023

Nachhaltigkeit und Digitalisierung im Handwerk

Dieser Beitrag erschien in Auszügen im SKILLS Magazin – Ausgabe 25. Lernen Sie unser Fachmagazin für Kompetenzentwicklung in der Berufsbildung kennen >>

Wer das Ladengeschäft betritt, wird von einem wohligen Duft nach kross gebackenem Brot empfangen: Die Hercules Bäckerei in Düsseldorf legt Wert auf hochwertige Bio-Produkte. Das Getreide kommt aus der Region, wird in der eigenen Mühle gemahlen. Betreiber Johannes Dackweiler ist es wichtig, „dass man die Menschen auch kennt, die die Rohstoffe liefern.“ Regionalität spielt auch für die FachWerkZimmerei für Denkmalpflege und Holzbau Kottmeier aus Hamburg eine wichtige Rolle. Für Inhaber Martin Kottmeier ist die Auswahl des richtigen Holzes entscheidend: „Wir wollen nach Möglichkeit ausschließlich mit einheimischen Hölzern arbeiten. Es geht um möglichst kurze Transportwege“, sagt er. Daneben auch darum, Arbeitsplätze im ländlichen Raum zu fördern. Dazu gehört auch die eigene Ausbildung von Fachkräften. „Das Wissen erwirbt man sich in der traditionellen Zimmerei über die Dauer und die vielen 1.000 Handgriffe, die erlernt werden müssen. Das ist eben nichts, was man in der Schule lernt, sondern das ist Handwerk“, sagt er nicht ohne Stolz.

Handwerk wird selbstverständlich auch in der Hercules Bäckerei großgeschrieben. Dennoch ist er offen für Neues, z. B. wenn es um technische Arbeitsunterstützung geht: „Überall da, wo uns die Technik hilft, dass wir uns aufs Wesentliche konzentrieren können, macht Technik Sinn.“ So steht in seiner Backstube eine Maschine, die das Brot in den Ofen schiebt und wieder herausholt. Für ihn und sein Team ein entscheidender Faktor, bedeutet es doch weniger körperliche Arbeit. „Ob die Maschine das Brot reinschiebt und wieder rausholt, macht für die Qualität des Brotes keinen Unterschied“, sagt er, hat aber Auswirkungen auf die Verweildauer im Beruf: „Der Bäcker kann länger im Beruf bleiben, weil die Arbeit körperlich einfacher und leichter wird.“

Im Handwerk geht es ums Erhalten
Ein schonender Umgang mit der eigenen Physis, um die Arbeitskraft dauerhaft zu erhalten – auch das ist Nachhaltigkeit. Das Thema sei im Handwerk kein kurzzeitiger Trend, sondern traditioneller und facettenreicher Bestandteil seines Wertesystems, fasste einmal Hans-Peter Wollseifer, ehemaliger Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) zusammen. Diese Einschätzung teilt Juliane Kriese, Ansprechpartnerin zum Thema Nachhaltigkeit bei der Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk (ZWH): „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die meisten Handwerksbetriebe bereits sehr nachhaltig aufgestellt sind – ihnen ist das nur nicht richtig bewusst.“ Dafür gebe es verschiedene Gründe: „Das Handwerk hat Tradition. Das sind häufig klassische Familienbetriebe. Hier geht es um das Erhalten, Reparieren, nicht neu und billig aus China importieren. Auch ist z. B. das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Handwerk meist überhaupt gar keines. Es wird einfach gelebt, da wird nicht darüber nachgedacht. Es ist völlig normal, dass alle mithelfen und Teil des Betriebs sind – von den Großeltern bis hin zu den Jüngsten.“ Selbstverständlich gehören auch finanzielle Anreize dazu, z. B. in Form genauer Planung, um möglichst wenig Holzverschnitt zu produzieren und die (heimischen) Ressourcen zu schonen, oder auch gesetzliche Anforderungen. Die regionale Verwurzelung ist ein weiterer Aspekt, weshalb viele Handwerksbetriebe recht „natürlich“ nachhaltig unterwegs sind: „Klassisches Beispiel ist der lokale Fußballverein: Viele Unternehmen sponsern lokale Vereine, weil die eigenen Kinder dort spielen, weil sie regional verwurzelt sind oder der Dachdeckerbetrieb eben der erste im Ort ist, der bei sowas gefragt wird – dass das schon gesellschaftliches Engagement ist, ist vielen überhaupt nicht bewusst“, sagt sie. Ihre Meinung: „Handwerksbetriebe dürfen ruhig selbstbewusster zeigen, was sie Gutes und vor allem Nachhaltiges tun.“

„Wir schrauben am Klimaschutz“
Ein gutes Beispiel, wie das geht, ist z. B. die Sebastian Fuchs Bad und Heizung GmbH und Co. KG aus Düsseldorf. Der Inhaber Sebastian Fuchs erklärt, man habe die Werte und Daten bezüglich des CO2-Ausstoßes von einem Unternehmen analysieren lassen und dann eine entsprechende Menge Bäume gepflanzt, um als Betrieb klimaneutral zu werden. Für jedes neue Bad und jede neue Heizung werde ebenso ein Baum gepflanzt. Auf den Handwerksautos steht in großen Lettern: „Wir schrauben am Klimaschutz.“ Dieser spielt also eine entscheidende Rolle im Betrieb. Sebastian Fuchs erklärt auf der Unternehmens-Website: „Wir fingen schon vor Jahren an, ausschließlich umweltfreundliche Baustoffe zu verwenden, nur noch wassersparende Installationen zu verbauen, bei allen Bauprojekten Plastikmüll zu vermeiden und alles sortiert zu recyceln. Und am wichtigsten: Wir begannen im großen Stil, uns auf modernste, klimafreundliche Heizanlagen zu spezialisieren.“ Doch dabei blieb es nicht: „Wir treffen Absprachen mit allen Großhändlern, um schon vor Beginn eines Bauprojekts Verpackungsmüll einzusparen oder komplett zu vermeiden. Wir verfolgen eine konsequente Mülltrennung und strenge Recyclingprozesse. In unserem Betrieb benutzen Mitarbeiter nur wiederverwendbare Glasflaschen, alle Räumlichkeiten sind mit energiesparenden LEDs beleuchtet, wir sind auf dem Weg zum papierlosen Büro. Auch die Routenplanung aller Fahrzeuge hat zum obersten Ziel, Fahrstrecken zu optimieren und so Umweltbelastung zu minimieren.“ Ebenso nimmt das Thema Ausbildung eine wichtige Rolle ein: „Auf fast jeden Monteur kommt ein Auszubildender. Diese Jungs müssen wir nachhaltig ausbilden, sodass wir sie an uns binden, sie bei uns bleiben und wir gar nicht mehr auf die Suche gehen müssen auf dem offenen Markt“, erklärt Sebastian Fuchs. Dazu gehört auch, ihnen Perspektiven aufzuzeigen und welche Möglichkeiten sie in der Branche haben. Wichtiger Faktor ist dabei ebenfalls die Digitalisierung: Auf der Baustelle arbeiten die Monteure mit Tablets, haben so immer Zugriff auf wichtige Daten. Sein Fazit: „Man kommt ja mittlerweile gar nicht mehr drum herum. Wir müssen etwas tun. Ich glaube, wir im Handwerk haben großen Einfluss.“

Begleitung bei der systematischen Bestandsaufnahme Wie groß der Stellenwert des Themas ist, zeigt sich auch daran, dass seit 2021 die Standardberufsbildposition „Umweltschutz und Nachhaltigkeit“ in allen Ausbildungsordnungen verankert wurde. Doch was gilt überhaupt als „nachhaltig“? Nachhaltigkeit beschreibt das Gleichgewicht zwischen Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft: „Damit dieses Gleichgewicht entstehen kann, ist es wichtig, zu erkennen, dass sich umweltbezogene, wirtschaftliche und gesellschaftliche Prozesse gegenseitig beeinflussen. So muss eine funktionierende Umwelt vorhanden sein, um dauerhaft gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt zu garantieren. Gleichzeitig braucht eine intakte Umwelt wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wohlstand, um langfristig bestehen zu können. Nachhaltigkeit bezeichnet die Bedingungen, um dieses wichtige und zukünftig immer wichtiger werdende Gleichgewicht zu erzeugen“, ist auf der Seite Nachhaltiges Handwerk der ZWH zu lesen. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Handwerksbetriebe in Workshops oder mit Management-Instrumenten bei der systematischen Bestandsaufnahme im Bereich Nachhaltigkeit zu begleiten. Dazu gehört neben der Standortbestimmung, was bereits umgesetzt wird, auch die Betrachtung, welche anderen Dimensionen der Nachhaltigkeit in welcher Form künftig zukunftsfähig erschlossen werden können. „Hier fehlt manchmal noch der richtige Ansatz. Dabei ist Nachhaltigkeit ja ein Prozess, hier passiert nicht alles auf einmal, sondern man justiert immer wieder nach und neu“, ergänzt die Nachhaltigkeitsexpertin.

Vieles spricht für die Automatisierung
Zur Neubetrachtung und -justierung gehört auch das Thema Digitalisierung. Wie dieser Aspekt z. B. bei arbeitsaufwendigen Torten umgesetzt werden kann, zeigt ein Beispiel aus der Schweiz, bei dem ein Roboterarm von FANUC zum Einsatz kommt. Im hygienischen Schutzanzug setzt er sich in Bewegung und spritzt gleichmäßig eine Haselnuss-Baisermasse in einem Kreis auf das Blech, ehe er sich der Erstellung des nächsten widmet. So entstehen, je nach Größe, acht oder zwölf Baiserdeckel. Getrocknet bilden sie die nussig-süßen Böden und Deckel der Solothurner Torten der Bäckerei, Konditorei und Confiserie Suteria. Der Roboter erledigt so eine monotone und überaus kräftezehrende Arbeit. Michael Brüderli, CEO der Suteria: „Unser Geschäft hat ein so großes Volumen angenommen, dass wir sorgfältig mit unseren Ressourcen umgehen müssen.“ Neben dem Roboterarm, der bei der Solothurner Torte unterstützt, sind viele weitere Arbeitsschritte automatisiert oder mindestens mechanisiert: Für das Füllen der Trüffel gibt es „Abfüllmaschinen“, auch Teige werden maschinell gerührt. Das alles in überschaubarem Rahmen. Für den Robotereinsatz war es höchste Zeit geworden, wie sich Inhaber Manfred Suter erinnert: „Uns sind ja die Leute verlorengegangen, die diese Arbeit machen mussten.“ Angesichts Tausender Torten im Jahr kein Wunder. „Wenn man die Handarbeit mit dem Einsatz eines Roboters kombinieren kann und trotzdem mit seinem Produkt einzigartig bleibt, dann spricht natürlich vieles für die Automatisierung.“ Die richtige Kombination sei eben auch ein wichtiges Argument für den Erhalt des Produkts und des Standorts.

Wertvolle Synergieeffekte Mit diesem Thema beschäftigt sich auch die Studie „Handwerk Nachhaltigkeit und Digitalisierung – zwischen Tradition und Moderne“ des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft e. V. (BNW), die im Rahmen des Projekts „machGrün! – Zukunft in deiner Hand“ entstanden ist. Im Fazit heißt es: „Mittel- und langfristig werden diejenigen Betriebe zukunftsfähig sein, die sich den Herausforderungen des starken Wandels stellen, die ihre Unternehmenskultur offen gestalten und lernfähig sind, effizient zusammenarbeiten und auch ihren Mitarbeitenden und Auszubildenden jeden Tag einen Grund geben, sich für ihren Beruf und ihre Arbeitgeber*innen zu begeistern und zu engagieren.“ Die Autor*innen sind der Meinung: „Die stärkere Verzahnung von konsequent nachhaltigem Wirtschaften und der verantwortungsvollen Nutzbarmachung digitaler Lösungen im technologischen und administrativen Bereich ist daher dringend zu empfehlen und führt dazu, dass wertvolle Synergieeffekte beim Umwelt-, Ressourcen- und Klimaschutz entstehen.“

Instrument Nachhaltigkeits-Navigator Handwerk
In diese Richtung berät auch die ZWH. Über allem steht neben den offensichtlichen, oben bereits erwähnten Vorteilen, das Thema Zukunftsfähigkeit: „In dem Moment, in dem ich eine Bestandsaufnahme meines Handwerksbetriebs mache und mich mit meinem Unternehmen beschäftige, ist das bereits der Beginn einer Unternehmensanalyse. Wenn ich mich dann neu aufstelle und an gewissen Stellschrauben drehe, bin ich ein Betrieb, der später gerne übernommen wird oder gerne von Kunden beauftragt wird“, führt Juliane Kriese aus. Nicht zu vernachlässigen sei zudem die Gemengelage in der Zusammenarbeit: „Notwendige Berichtsstandards wie der Deutsche Nachhaltigkeitskodex DNK betreffen in der Regel meist große Unternehmen und sind noch nicht im Handwerk angekommen. Allerdings wird der Druck auch an die Zulieferer weitergegeben. Es kann also sein, dass manche Handwerksbetriebe künftig keine Aufträge mehr bekommen, wenn sie sich mit bestimmten Themen nicht auseinandersetzen. Banken sind bei der Kreditvergabe z. B. ebenso angehalten, Nachhaltigkeitskriterien zu berücksichtigen.“ Diese Aspekte berühren handwerkliche Betriebe jeglicher Größe, betont die Expertin. Wie so oft scheitert es in der Umsetzung am Faktor Zeit, denn „die haben Handwerksbetriebe einfach nicht. Die sind ausgebucht, müssen Wärmepumpen einbauen oder Haare schneiden. In der Regel gibt es selten jemandem im Büro, der sich diesem Thema vollumfänglich widmen kann. Der Inhaber steht eben selbst auf der Baustelle oder in der Backstube.“ Zur Unterstützung hat die ZWH den Nachhaltigkeits-Navigator Handwerk entwickelt, ein kostenloses, digitales Management-Instrument, das Handwerksbetriebe unterstützt, ihren Betrieb nachhaltig auszurichten und einen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen.

Juliane Krieses Tipp für Handwerksbetriebe, die noch am Anfang ihrer Nachhaltigkeitsüberlegungen stehen: „Legen Sie einfach mal los! Überlegen Sie, was Sie bei sich im Betrieb bereits umsetzen und welche Potenziale sie noch abrufen können.“ Nachhaltig und digital aufgestellt werden auch traditionell ausgerichtete Handwerksbetriebe in Richtung einer erfolgreichen Unternehmenszukunft gehen.

Weitere Informationen zu diesem Thema:

www.zdh.de/themen-und-positionen/nachhaltigkeit/
www.nachhaltiges-handwerk.de
www.machgruen.de/studie-handwerk-nachhaltigkeit-digitalisierung

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