Am 20. Februar 2024 wurde die Städtische Berufsschule für das Bäcker- und Konditorenhandwerk in München offiziell von WorldSkills Germany zum Bundesleistungszentrum für Konditor*innen ernannt. Der Trainingsort liegt im Münchner Stadtteil Haidhausen im großzügig und hell angelegten Gebäudekomplex der Städtischen Berufsschulen am Simon-Knoll-Platz. Dort sind auch die Berufsschulen für das Hotel-, Gaststätten- und Braugewerbe sowie für das Metzgerhandwerk und die Konditoren-Meisterschule untergebracht.
Eine Woche vor der Lizenzierung nahm WorldSkills-Bundestrainerin und Berufsschullehrerin Sabine Baumgarten beim ersten Präsenzworkshop in der Städtischen Berufsschule für das Bäcker- und Konditorenhandwerk das Training für die WorldSkills 2024 in Lyon auf. Aktuell trainiert Baumgarten mit drei Teilnehmerinnen die Anfertigung von Schokolade- und Zuckerschaustücken und strahlt dabei über das ganze Gesicht. Seit vielen Jahren leitet sie in der Disziplin „Konditor*in“ die Vorbereitungen auf die Weltmeisterschaften der Berufe und ist als Bundestrainerin auch Jurymitglied bei den WorldSkills.
Eigentlich sei alles genauso wie die letzten Jahre auch – die Räumlichkeiten, die Ausstattung, das Prozedere. Aber dennoch sei alles anders. „Durch den Schwung einer neuen Schulleitung ist es wirklich möglich geworden, das WorldSkills Germany-Bundesleistungszentrum für Konditor*innen hier in meiner Heimatstadt zu platzieren und das freut mich außerordentlich“, sagt Baumgarten. „Damit beginnt eine große Vision von mir wahr zu werden. In der Vergangenheit habe ich immer brav angefragt, ob ich trainieren kann, es hatte immer mit Geld und mit Ausstattung zu tun, und jetzt sehe ich durch die Lizenzierung von WorldSkills Germany, das Engagement des Schulleiters Oberstudiendirektor Theo Albrecht und die Unterstützung der Stadt München vor mir eine freie Autobahn. Ich habe Budget und ich kann mit der Lizenzierung als Bundesleistungszentrum eine viel größere Außenwirkung erzielen.“
In Koblenz existiert bereits ein Bundesleistungszentrum des Deutschen Konditorenbundes, allerdings stehen die beiden Zentren nicht in Konkurrenz zueinander. Während in Koblenz die vielfältigen und unverzichtbaren Aufgaben rund um das Konditoren-Handwerk vermittelt werden, geht es in München ganz gezielt um das Training für die WorldSkills-Berufswettbewerbe.
Sabine Baumgarten hat ihre Lehre in der bayerischen Metropole gemacht, den Meisterbrief erworben und dann nach Stationen in England und der Schweiz als Chef-Patissière im Vier Jahreszeiten, einem Münchner Luxushotel, gearbeitet. Sie ist Konditorin durch und durch, aber genauso leidenschaftlich ist sie inzwischen Berufsschullehrerin mit Staatsexamen. „Berufsschule ist meine Leidenschaft, weil man die Wurzeln bildet in einem Beruf und nur wenn eine Person starke Wurzeln hat, kann sie richtig gut wachsen. Deswegen finde ich Berufsschule so wichtig.“ Ihr Wirkungsort ist der moderne Gebäudekomplex der Münchner Berufsschulen für Ernährungsberufe. Das Ausbildungszentrum der Berufssparten Gastronomie, Köche, Brauer, Bäcker und Konditoren liegt im östlichen Stadtteil Haidhausen in einem lichten, architektonisch großzügig geplanten Bau mit beeindruckender schwebender Freitreppe im Inneren – einer sinnlichen Ästhetik, die ausgesprochen gut zum Konditorei-Beruf passt, denn sowohl Geschmack wie visueller Eindruck müssen vollendet überzeugen. „Konditorei ist Luxus, das braucht keiner zum Überleben, aber es macht unheimlich glücklich und zufrieden. Und das müssen wir hinbekommen, denn warum geht man sonst zum Konditor?“, schmunzelt Baumgarten.
Auch die drei Teilnehmerinnen, die gerade von Sabine Baumgarten auf die hohen Anforderungen der WorldSkills Lyon 2024 trainiert werden, wollen mit Konditorei auf höchstem Niveau überzeugen. Drei Online-Trainings liegen bereits hinter den Bestqualifizierten der strengen deutschlandweiten Vorentscheide. Bisher haben sie die Handykameras auf ihren Arbeits- oder Trainingsplatz in Sylt, Dresden oder Köln gerichtet und die Lösung der Aufgaben dokumentiert. Sabine Baumgarten hat dabei quasi über die Schulter geguckt, beraten, korrigiert und die ersten Bewertungen vorgenommen.
Beim ersten Präsenztraining müssen die jungen Fachkräfte nun Schaustücktechniken mit Zucker und Schokolade üben. In Lyon werden Schaustücke mit bis zu einem Meter Höhe auf dem Wettbewerbsprogramm stehen. Schaffen die Teilnehmenden sie in Perfektion zu erstellen, kann damit schon die Hälfte der möglichen Punkte eingefahren werden – oder eben nicht. Im nächsten halben Jahr werden noch weitere Online-Trainings folgen und dann wird es ernst. Denn beim nächsten Präsenztraining im Bundesleistungszentrum in München scheidet eine der drei Kandidatinnen aus. Baumgarten wird nur zwei Konditorinnen weiter trainieren und schließlich diejenige als Vertreterin Deutschlands zur WM der Berufe senden, die konstant die beste Leistung gebracht hat. Aber eigentlich haben Olivia Hänsig aus Sylt, Julia Fuchs aus Dresden und Lisa-Marie Than aus Köln jetzt schon gewonnen. Baumgarten erinnert sich an ein Zitat von Teresa Nowak, Gewinnerin der Exzellenzmedaille bei den WorldSkills Kasan 2019: „In dem halben Jahr, in dem wir gemeinsam trainiert haben, habe ich mich entwickelt, wie noch nie in meinem Leben. Mein persönliches Wachstum war riesig. Ich habe mich dem Wettbewerb gestellt. Ich habe das geschafft. Ich habe das gerockt. Ich habe meine Medallion for Excellence erreicht – das ist ein ganz anderes Standing im Leben.“
Mit diesem Standing werden auch die drei Konditorinnen nach den Trainings zurück in ihre Betriebe und ins Leben gehen. Baumgartens Hoffnung ist, dass sich die Begeisterung eines WorldSkills Germany-Bundesleistungszentrums ebenso motivierend auf die Berufsschüler*innen des Schulzentrums ausdehnen wird. Und nachdem nun eine Vision der engagierten Bundestrainerin wahr geworden ist, taucht die nächste schon am Horizont auf. Die Zukunftsvision könnte sein, den Wettbewerbscharakter in einem mehrjährigen Prozess langsam in die Unterrichte einfließen
lassen zu dürfen. „Die Vorbereitung auf die Wettbewerbe und die Wettbewerbe an sich sind ein so dichtes, intensives und motivierendes Lernen, was Besseres kann einem als Lehrer*in und Schüler*in eigentlich nicht passieren“, so Baumgarten. Sie weiß aber natürlich, dass solche Ideen Zeit zum Reifen brauchen und viele Gremien durchlaufen müssen. „Aber träumen darf man ja“, lächelt Baumgarten. Schließlich ist sie Berufsschullehrerin und Konditorin aus Leidenschaft und kann aus ihrer langen Erfahrung mit Wettbewerben vieles dazu beitragen, um nicht nur die Teilnehmer*innen der Wettbewerbe, sondern auch „ganz normale“ Azubis mit Spaß beim Lernen plus Begeisterung und Motivation für das Handwerk anzustecken. Vielleicht wird die Region München in Zukunft zum Aushängeschild der besten jungen deutschen Konditor*innen.
Sabine Baumgarten sieht Deutschland unter den Spitzenreitern – im Wettbewerb, wie in der Ausbildung. „Wir stehen international schon ziemlich gut da", sagt sie. „Das hat viel mit unserem dualen Ausbildungssystem zu tun, weil die Azubis da von Anfang an lernen, dass sie sauber, dass sie auf Geschwindigkeit arbeiten, dass sie sich gut organisieren, und dass das, was sie produzieren, auch verkauft werden muss. Das ist in anderen Ländern ganz anders."
Das Zusammenspiel von betrieblicher Ausbildung und Berufsschule ist bewährt, dennoch ändern sich Unterricht und Anforderungen. „Wir haben gerade umgestellt von Einzeltagesbeschulung auf Blockbeschulung und haben im Bereich der Konditoren ganz neue Unterrichtskonzepte mit großem Erfolg eingeführt." Entscheidend sei die Qualität, aber neuen Strömungen müsse neben traditionellen Verfahren Rechnung getragen werden. Die Gesellschaft wird ernährungsbewusster und Konditoren müssen „runter vom Zucker". Auch die Jugend sei selbstbewusst und kritisch, die jungen Leute schauen genau, was in die Produkte reinkomme und was drin sein müsse.
Und das Spektrum der Produkte im Konditoren-Handwerk ist unfassbar groß: Kuchen und Torten, Speiseeis, Pralinen, Teegebäck, Teigtaschen, Konfekt und kandierte Früchte, um nur die Highlights zu nennen. Dazu kommen Dekorarbeiten aus Schokolade, Zucker oder Marzipan. Das heißt, Konditor*innen müssen neben fachlichem Know-how zur Herstellung der Backwaren auch noch feinmotorisches und künstlerisches Geschick beweisen, sie werden zu echten Designer*innen.
Außerdem sind die Stichworte „vegan" und „Allergien" in aller Munde. Einer der nächsten Unterrichte in der 12. Klasse soll laut Baumgarten deshalb ein zeitgemäßer Wochenplan sein: ein Buffet, ein veganer Kuchen, laktosefrei, glutenfrei.
Auch das gehört zur modernen Konditorei und muss beherrscht werden. Und Zutaten im nahezu alchemistischen Prozess des Konditoren-Handwerks zu ändern, bedeutet alte Rezepte mit neuen Ingredienzien neu erfinden, berechnen und ausprobieren bis Geschmack, Look und Statik wieder stimmen. Übrigens, die Worldskills-Wettbewerbe hatten auch hier schon Vorreiterfunktion, vor Jahren gab es bereits die Aufgabe eine vegane Praline zu kreieren.
War die Bäcker- und Konditoren-Ausbildung früher vor allem eine beliebte Alternative für Schüler*innen mit Hauptschulabschluss, so entscheiden sich inzwischen Abiturient*innen und sogar fertig studierte junge Menschen für diesen Beruf. Baumgarten spricht aus der Praxis des Berufsschulbetriebs. „Die Strukturen haben sich massiv geändert. Es gibt deutlich mehr Nachfrage von der Betriebsseite als Ausbildungssuchende auf dem Markt. Azubis treten heute selbstbewusster auf und scheuen sich nicht davor, den Betrieb zu wechseln, wenn sie die investierte Energie an Wissen und Entwicklung nicht zurückbekommen. Ich habe Minimum 40 Prozent Abiturient*innen, der Rest hat Hauptschulabschluss und Mittlere Reife. Frauen sind zahlenmäßig leicht in der Überzahl. Ich habe aber auch Schüler*innen mit abgeschlossenem Studium, die gesagt haben, ich habe keinen Bock mehr auf Politikwissenschaften, ich mache jetzt das, was mir Spaß macht." Laut Baumgarten seien die deutschen Konditorenmeister*innen weltweit sehr begehrt. Neben dem üblichen Karriereweg in Unternehmen, nationalen und internationalen Spitzenhotels oder auf Kreuzfahrtschiffen, machen sich viele mit Spezialbetrieben selbstständig. Den Vollsortimentler, der alles anbiete, vom Croissant über Pralinen, vom Eis bis zu den Torten, könne sich allerdings kaum noch einer leisten, außer man werde in einen bestehenden Betrieb hineingeboren. Die finanziellen Anforderungen an Produktionsflächen, Maschinen und Personal seien zu groß. Die meisten der Neu-Selbstständigen spezialisieren sich auf Schokolade, auf Confiserie oder beispielsweise auf Hochzeitstorten. Für die Teilnehmerinnen des Präsenztrainings stehen sowieso alle Türen offen, denn durch die Erfahrung in den Wettbewerben sind sie mit ihrem Wissen und vor allem mit den gewonnenen Soft Skills durchsetzungs- und kommunikationsstark, äußerst konzentrationsfähig und auch durch Stress nicht mehr aus der Ruhe zu bringen.
Solange Menschen auf diesen „kleinen großen Luxus" nicht verzichten wollen und das Besondere lieben und vor allem schmecken, bleibe dieser Beruf sowohl handwerklich wie künstlerisch vom Zugriff der Digitalisierung erst einmal verschont. „Das Konditorenhandwerk ist der sinnlichste aller Berufe. Geschmack, Tastsinn, Ohren, Nase und natürlich die Augen – alle Sinne sind bei der Zubereitung gefordert“, unterstreicht Baumgarten. "Ich bringe meinen Schüler bei nach Nase zu backen. Die müssen gar nicht in den Ofen schauen, die riechen es. Wenn die Nase sagt, geh zum Ofen, dann drücke ich den Boden oder fühle den Teig und man fühlt mit den Händen, ob es passt. Sogar die Ohren sind in diesem Beruf ein wichtiger Sicherheitssensor. Wenn der Zucker, den ich aufgegossen habe, knackt, dann weiß ich, dass etwas nicht stimmt. Und die Augen, klar, die Produkte müssen attraktiv sein. Und dann natürlich das Allerwichtigste, der Geschmack."
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