Additive Manufacturing – Kompetenz oder neues Berufsbild?

20. April 2021

Wie eine neue WorldSkills-Disziplin entsteht

Dieser Beitrag erschien in Auszügen im WorldSkills Germany Magazin – Ausgabe 19 (April 2021). Lernen Sie unser Fachmagazin für Talentmanagement, berufliche Wettbewerbe und außerschulisches Lernen kennen >>

Kennen Sie schon Additive Manufacturing? Dahinter verbirgt sich die Fertigung im 3D-Druckverfahren (siehe unten). Das 3D-Druckzentrum an der Fachhochschule Südwestfalen in Soest ist die Domäne von Leiter Prof. Dr.-Ing. Jens Bechthold, Professor im Fachbereich Maschinenbau-Automatisierungstechnik. Er arbeitet nicht nur an neuen Lehr- und Forschungsmethoden, sondern auch daran, Additive Manufacturing zur WorldSkills-Disziplin in Deutschland zu machen.

Das 3D-Druckzentrum beeindruckt: Dicht an dicht drängen sich 3D-Druckmaschinen aller Größen und Verarbeitungsformen. Hinzu kommen weitere Maschinen und Anlagen zur Vorbereitung und Weiterverarbeitung. Aus allen Basis-3D-Druckverfahrensgruppen gibt es jeweils mindestens ein Gerät, sodass sich alle Verfahren behandeln und sämtliche Phasen des Produktentstehungsprozesses darstellen lassen. Die Studierenden lernen hier die Druckvorbereitung und den Druck selbst kennen, um das im Fertigungsprozess wichtige Gespür für Material und Umsetzung zu bekommen – und auch zu überprüfen, wie sich die Verfahren in den Ergebnissen unterscheiden. Hierfür erproben die Studierenden um Professor Bechthold neben neuen Lehr- und Forschungsmethoden auch den Praxisbezug realer Projekte und Produkte für die Industrie.
Wie das konkret aussieht? Das Portfolio reicht von theoretisch-praktischen Untersuchungen der Einsatzmöglichkeiten des 3D-Drucks oder seiner Potenziale in der Produktentwicklung über Materialuntersuchungen für bestimmte Anforderungen in Zusammenarbeit mit dem Labor für Werkstofftechnik der Fachhochschule bis hin zum Druck fertig konstruierter Bauteile für den Unterricht, Präsentationen oder die Industrie.

Vorteile: Flexibilität und Vielfalt
Aber handelt es sich bei Additive Manufacturing jetzt um ein eigenständiges Berufsbild? „Noch nicht“, erklärt Jens Bechthold. „Bisher ist es eine Zusatzqualifikation, die sich Industriemechaniker/innen verschiedener Fachrichtungen aneignen können. Der Hauptunterschied zur klassischen Fertigung liegt darin, dass deutlich mehr theoretische Vorarbeit notwendig ist, wie zum Beispiel die Berechnung des spezifischen Materialverbrauchs. Klassische Tätigkeiten wie den Vorschub einstellen oder die Berechnung der Schnittgeschwindigkeit werden nicht mehr benötigt und durch neue Größen wie Belichtungszeiten und Schichtdicken ersetzt. Der anschließende Druckprozess läuft dann weitestgehend automatisch.“ Das ist aber nicht der einzige Vorteil, wie er weiter ausführt: „Beim Additive Manufacturing ist man sehr viel freier in der Bauteilgestaltung. Man kann Geometrien erzeugen, die auf anderen Herstellwegen gar nicht produziert werden können, weil man zum Beispiel nicht mit dem Werkzeug drankommt oder das Bauteil nicht aus der Form lösen kann.“ Gerade bei den Themen Leichtbau und Leichtbaustrukturen sind diese Vorteile erheblich, weil somit beispielsweise auch innenliegende Wabenstrukturen geschaffen werden können, was mit klassischen Fertigungsverfahren nicht machbar ist. „Gleiches gilt auch für strukturoptimierte Teile: Diese sehen aus als seien sie organisch gewachsen. So etwas mit klassischen Fertigungsverfahren herzustellen, ist sehr aufwendig und man erreicht immer nur eine Annäherung an das gewünschte Bauteil, aber nie das exakte, vorher berechnete Ergebnis.“

Eine Fertigungsweise, die sich noch etablieren muss
Diese Merkmale machen den 3D-Druck gerade in der heutigen Zeit interessant, in der die Individualisierung von Produkten stetig zunimmt, die Produktlebenszyklen aber ebenso kürzer werden wie deren Entwicklungszeit. Allerdings gibt es auch Nachteile: Beim Additive Manufacturing sind die Materialkosten wesentlich höher und oftmals sind auch die Bauzeiten der Bauteile länger. Zudem ist man in der Größe der Bauteile durch den Maschinenbauraum begrenzt: Es ist zum Beispiel (noch) nicht möglich, ein ganzes Auto auf einmal zu drucken. Ob es soweit einmal kommen wird, weiß auch der Professor nicht, er ist aber überzeugt: „Generell muss die Akzeptanz für diese Fertigungsart zwar noch wachsen, es bewegt sich derzeit aber sehr viel, was die Vielfalt der Materialien anbelangt, aber auch bei den Anlagengrößen. Die Möglichkeiten für den Markt entwickeln sich.“ Aktuell agieren die meisten Unternehmen und Hersteller im Bereich der additiven Fertigung noch zurückhaltend, denn die Maschinen sind teuer und das Knowhow muss erst noch aufgebaut werden. Ausnahmen gibt es, zum Beispiel in der Automobilbranche oder Luftfahrt. „Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Fertigungsart deutlich an Stellenwert gewinnen wird. Die klassische Fertigung wird sie aber nie ersetzen“, prognostiziert der Professor.

Nächster Halt: WorldSkills in Shanghai?
Die Zukunftsfähigkeit des Additive Manufacturing scheint dennoch gegeben. Auch WorldSkills hat das interessante Fertigungsverfahren bereits für sich entdeckt: Bei der Weltmeisterschaft in Kasan 2019 war es erstmals als Future Skill dabei. Aktuell arbeitet WorldSkills Germany zusammen mit Jens Bechthold daran, die Grundlagen für eine deutsche Teilnahme in dieser Disziplin in kommenden Wettbewerben zu schaffen. Derzeit werden die notwendigen Basispapiere wie die genaue Disziplin-Beschreibung, die Anforderungen an die Kandidat/innen, aber auch an den Maschinenpark und mehr gemeinsam mit Russland erarbeitet. „Wann wir bei offiziellen Wettbewerben starten können, hängt auch davon ab, wie schnell wir uns Klarheit über die offenen Punkte verschaffen können. Denn die Disziplin soll nicht nur additive Fertigung beinhalten, sondern auch 3D-Scannen, CAD-Aufbereitung und mehr“, berichtet Bechthold. Hierfür müssten zuerst der vollständige Anforderungskatalog erstellt und die Kompetenzen geprüft werden, die das deutsche Team benötigt. „Ziel sind die nächsten WorldSkills in Shanghai“, ist der Professor optimistisch.

Was ist Additive Manufacturing?
Mit dem neuen Fertigungsverfahren werden Bauteile aus einer formlosen Masse wie Pulver, Kunstharz, Metall- oder Kunststofffäden hergestellt. Im Gegensatz zu klassischen Verfahren wie Gießen, Drehen oder Spanen entstehen die Bauteile schichtweise – daher auch der Name: Das Material wird beim Additive Manufacturing immer hinzugefügt und nicht weggenommen.

Weitere Fachbeiträge und Best-Practices finden Sie im WorldSkills Germany Magazin, dem Fachmagazin für Talentmanagement, berufliche Wettbewerbe und außerschulisches Lernen.

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Eine Studierende schmilzt einen Kunststofffaden an einem FDM-Drucker (Fused Deposition Modeling) auf. (Foto: Simon Bierwald / FH Südwestfalen)

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