Aus Kluft wird Rolltreppe

25. Oktober 2022

Sie bündeln Kompetenzen und koordinieren die Aktivitäten der beteiligten Institutionen und Partner: Bundesweit unterstützen 353 Jugendberufsagenturen (JBA) mit ihren Beratungs- und Integrationsangeboten Menschen unter 25 Jahren in dezentraler Verantwortung. Die JBA in Leipzig steht beispielhaft für das Engagement der deutschlandweiten Jugendberufsagenturen.

Über die Website der JBA Leipzig geht eine Hilfsanfrage ein. Ein junger Mensch hat Schwierigkeiten, einen Ausbildungsplatz zu finden. Sein Werdegang ist nicht geradlinig: eine abgebrochene Ausbildung, eine Vorstrafe und Schulden. Außerdem möchte er aus der elterlichen Wohnung ausziehen, da es zu Hause Schwierigkeiten gibt. Mithilfe weniger Klicks gelangt er durch seine Anfrage zu den entsprechenden Institutionen und den richtigen Ansprechpartner*innen aus dem Amt für Jugend und Familie, dem Jobcenter, der Agentur für Arbeit, dem Landesamt für Schule und Bildung, der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Leipzig und Handwerkskammer (HWK) zu Leipzig.
Maria Völker ist Koordinatorin der JBA Leipzig, die 2016 gegründet wurde. Ihre Aufgabe ist es, als Schnittstelle die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Institutionen der JBA so zu stärken, dass allen jungen Menschen in Leipzig, die Fragen in den Bereichen Schule, Ausbildung, Arbeit und Studium haben oder in einer schwierigen Lebenslage stecken, geholfen werden kann. „Ebenso können sich Eltern, Lehrpersonal und pädagogische Fachkräfte an uns wenden“, sagt Völker.

 

Flächendeckende Ausweitung zur Unterstützung junger Menschen

Deutschlandweit haben sich an vielen Orten die zuständigen Sozialleistungsträger für eine solche rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit entschieden und bieten ihre Leistungen gebündelt in einer JBA an. Dabei handelt es sich nicht um eine neue Behörde, sondern um eine enge Kooperation auf Arbeits- und Organisationsebene. Jugendberufsagenturen sollen Angebote zusammenfassen und für junge Menschen bedarfsgerecht als Bindeglied zwischen Schule und Beruf agieren. Zudem sollen sie Exklusionsrisiken für Schüler*innen verringern, die Gefahr laufen, bereits am Anfang ihres Erwerbslebens ausgeschlossen zu werden. Jugendberufsagenturen sind dabei keine rechtlich selbstständigen Institutionen. Sie verfügen über keine eigenen Haushalte oder Personal. Das stellt das Kooperationsbündnis vor eine Herausforderung. „Eine kontinuierliche Beteiligung und durchdachte Zielgruppenansprache mit dementsprechenden Ressourcen und Strukturen sind für den Erfolg unerlässlich“, betont Völker

Foto: athena/Pexels

Kooperationspartner auf Augenhöhe

In fast 99 Prozent der 353 Jugendberufsagenturen arbeiten Sozialleistungsträger mit weiteren Akteuren wie städtischen Behörden und Kammern zusammen. Im Fall der Jugendberufsagentur Leipzig sind ganze sieben Institutionen gemeinsam tätig: das Amt für Jugend und Familie, die Agentur für Arbeit, das Jobcenter, das Landesamt für Schule und Bildung, die Stadt Leipzig, das Referat Beschäftigungspolitik, die Industrie- und Handelskammer zu Leipzig (IHK) und die Handwerkskammer zu Leipzig (HWK). „Wichtig ist eine transparente und strukturierte Kommunikation der Institutionen im Hintergrund, damit der junge Mensch so unkompliziert und gezielt wie möglich die ihm entsprechende Unterstützung bekommt. Kein junger Mensch darf verloren gehen, jeder Jugendliche wird gebraucht“, führt Völker weiter aus.
Häufig kommen auch Expert*innen aus dem schulischen Kontext zur gemeinsamen Hilfeplanung zusammen. Die Schulen sind dabei nicht nur Netzwerk-, sondern, vertreten durch das Landesamt für Schule und Bildung, gleichberechtigte Kooperationspartner in der JBA. Entscheidungen werden ausschließlich im gegenseitigen Einvernehmen getroffen. So werden beispielsweise verschiedene Aktivitäten der Partner gemeinsam unter dem Dach der Jugendberufsagentur abgestimmt und koordiniert. Maria Völkers Aufgabe in der Koordinierungsstelle der JBA besteht unteranderem darin, Workshops für den internen Austausch der Kooperationspartner zu organisieren, deren geplante Projekte bei allen Beteiligten und der Öffentlichkeit bekannt zu machen und dabei Materialien, Referent*innen und Räumlichkeiten bei Bedarf zur Verfügung zu stellen. Zur besseren Sichtbarkeit und Vermarktung wird die gemeinsame Dachmarke „Jugendberufsagentur“ gegenüber den Zielgruppen genutzt, wenn es um gemeinsame Veranstaltungen und Aktionen geht.

Schlagkräftige Kommunikation

Der Vorteil dieser gemeinsamen Dachmarke liegt in den Augen der IHK zu Leipzig auf der Hand: „Die Jugendberufsagentur ist eine einprägsame, aussagekräftige Marke, unter der alle Partner ihre Angebote schlagkräftiger kommunizieren können“, heißt es seitens der IHK. „In den letzten Jahrzehnten wurde Wissen über Können gestellt“, stellt Andrea Krauß, Abteilungsleiterin der Berufsbildung der Handwerkskammer zu Leipzig fest. Daher fordert die Kammer Chancengleichheit und Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung. „Ohne Handwerk wird das Leben nicht funktionieren. Deshalb muss Berufsorientierung‚ ergebnisoffen‘ sein – auch an den Gymnasien. Das heißt, nicht nur Studien-, sondern auch berufliche Möglichkeiten aufzuzeigen“, fordert Krauß. Die Handwerkskammer engagiert sich mit vielfältigen Maßnahmen zur Berufsorientierung. In ihrem Bildungs- und Technologiezentrum absolvieren beispielsweise jährlich rund 2.000 Schüler*innen der 7. und 8. Klassen ein zweiwöchiges Praktikum und probieren sich in vier Berufsfeldern aus: Bau, Metall, Elektro und Friseur*in. Dafür hat die HWK Verträge mit 25 Schulen aus dem Kammerbezirk geschlossen. Rund 20 Prozent der Teilnehmenden an dieser Berufsorientierung beginnen später eine Ausbildung im Handwerk.
Aus der Perspektive der jungen Menschen entsteht mit der Jugendberufsagentur ein zentraler Ansprechpartner für Fragestellungen am Übergang Schule und Beruf, der sie individuell, niederschwellig und gebündelt unterstützt. Jeder Träger zeichnet sich in der Praxis durch ein differenziertes Hilfe- und Dienstleistungsangebot aus. Für junge Menschen, die die Unterstützung dieser Sozialleistungsträger benötigen, ist der Zugang zu deren bedarfsgerechten Leistungsangeboten nicht immer transparent. Dass die Sozialleistungsträger eng und abgestimmt zusammenarbeiten, erscheint daher umso wichtiger, um die jungen Menschen bestmöglich und aus einer Hand zu unterstützen.

Regionale Aufgabenschwerpunkte

Jugendberufsagenturen organisieren vor allem örtliche Kooperationsprojekte. Die jeweiligen Träger sind für die einzelnen Fälle und Kosten verantwortlich. Ihre Ausgestaltung wird maßgeblich durch das Engagement der Mitarbeiter*innen in den Kommunen, Agenturen für Arbeit und Jobcentern vor Ort beeinflusst. Somit gleicht keine Jugendberufsagentur der anderen und es liegt keine allgemeingültige Umsetzungsanleitung vor. Da Jugendberufsagenturen in dezentraler Verantwortung arbeiten, können sie eigene Handlungsschwerpunkte – je nach regionalen und lokalen Anforderungen – setzen und ihr Angebot daran ausrichten. So engagiert sich beispielsweise die IHK zu Leipzig im Rahmen der Berufsorientierung für Schüler*innen mit eigenen Maßnahmen wie dem Projekt „Robotik im Schulalltag“ oder gemeinsam mit vielen Partner*innen dem „Aktionstag Lehrstellen“, der größten Open-Air-Berufsorientierungsmesse Mitteldeutschlands. Den Ausbildungsbetrieben bietet die IHK damit eine gute Plattform, sich dem künftigen Fachkräftenachwuchs vorzustellen.

Rolle der Unternehmen und Schulen

In diesem Kontext wichtig und einen deutlichen Mehrwert, bringe die Zusammenarbeit mit Unternehmen hinsichtlich der gezielten Vermittlung in Ausbildung und Arbeit. Denn so können die Berater*innen gezielt auf die Angebote und Bedarfe der hiesigen Wirtschaft reagieren und aufbauen. „Zudem kann so ein unübersichtliches Überangebot an Unterstützungsleistungen oder doppelte Strukturen vermieden und die vorhandenen Angebote effizienter bearbeitet werden“, erläutert Völker. Die HWK zu Leipzig sieht aber auch genau dort die Grenze der gemeinsamen Arbeit: „Letztlich können wir den Betrieben immer nur Angebote unterbreiten. Die Unternehmen müssen sich selbst aktiv einbringen, um den zum Unternehmen passenden Azubi zu gewinnen.“
Mit dem Modellprojekt „InVeSt“ wurde in Zusammenarbeit mit drei Leipziger Oberschulen eine intensive Beratungsstruktur innerhalb der Schulen geschaffen, die sämtliche relevanten Akteure miteinander in Austausch bringt. Die enge Abstimmung zwischen den Schulen und den Institutionen ermöglichte es, den Leitgedanken der niedrigschwelligen Beratung direkt in den Schulen zu verankern und zu etablieren. Das Projekt wurde vor Kurzem erfolgreich abgeschlossen und kann im Ergebnis als Modell für weitere Oberschulen in Leipzig dienen.

Leipzig geht mit gutem Beispiel voran

Die Arbeit der Akteure rund um der JBA Leipzig trägt Früchte. Die unterbreiteten Angebote unterstützten den Erfolg einer Realschülerin der 94. Oberschule Leipzig. Mit eher mittelmäßigen Leistungen schienen die Möglichkeiten der Ausbildungsplatzsuche getrübt. Doch die Jugendberufsagentur konnte helfen. Eine Berufsorientierungsmaßnahme in der 9. Klasse, ein Praktikum in Klasse 10 in der Altenpflege sowie ein in Aussicht gestellter Ausbildungsplatz motivierten die Schülerin zum Lernen – mit Erfolg. Bereits im ersten Lehrjahr wurde sie prämiert als „beste Auszubildende“ und die Imagekampagne des sozialen Trägers trug ihr Gesicht.
„Das Zusammenwirken ist besonders dort wichtig, wo Jugendliche nicht den geradlinigen Weg gehen können. Mit der allgemeinen Berufsberatung der Agentur für Arbeit, der IHK und HWK zu Leipzig sowie den Unterstützungsleistungen des Jobcenters und der Stadt Leipzig können wir sämtlichen Themenbereichen und teilweise schwierigeren Problemkonstellationen begegnen und eine Lösungsstrategie erarbeiten“, berichtet Maria Völker. Projekte wie Joblinge, Aktionstag Lehrstellen, Nacht der Ausbildung, Leipziger Elternwoche, Last-Minute-Aktivitäten zur Lehrstellenvermittlung oder eine Arbeitsmarktbörse werden von jeweils einem Kooperationspartner geleitet und bei Bedarf mit der Unterstützung aller anderen durchgeführt. Die Jugendberufsagentur sorgt für die Bekanntmachung der Veranstaltungen und bietet Unterstützung bei den Vorbereitungen an. Weitere externe Netzwerkpartner können sich in die Arbeit der Jugendberufsagenturen einbringen, in dem sie sich aktiv an der Vernetzung beteiligen und die eigenen Angebote teilen.

Erste Jugendberufsagenturen wurden in den Jahren 2007/2008 gegründet. Seit 2010 hat die Bundesagentur für Arbeit im Modellprojekt „Arbeitsbündnisse Jugend und Beruf“ Kooperationen gefördert. Im Jahr 2013 fanden Jugendberufsagenturen Eingang in den Koalitionsvertrag der damaligen Bundesregierung. Die Daten bestätigen: der deutschlandweite Ausbau ist in den letzten 15 Jahren vorangeschritten. In rund 87 Prozent der bundesweit 400 Kreise und kreisfreien Städte wurde bis zum Sommer 2021 mindestens eine Jugendberufsagentur gegründet, weitere sind in Planung.

Eine Übersicht, wo Sie ihre nächstgelegene Jugendberufsagentur finden, erhalten Sie hier >>

Hier geht's zur Website der Jugendberufsagentur Leipzig >>

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