Ausbildung für die Zukunft – Spielerisch zur Prozesssteuerung

20. April 2021

ILW Mainz mit der Disziplin „Industrie 4.0“: Speerspitze der vierten industriellen Revolution

Dieser Beitrag erschien in Auszügen im WorldSkills Germany Magazin – Ausgabe 19 (April 2021). Lernen Sie unser Fachmagazin für Talentmanagement, berufliche Wettbewerbe und außerschulisches Lernen kennen >>

Wohl in keinem Bereich zeigt sich die Digitalisierung so durchgreifend wie in der produzierenden Industrie. Das jüngste WorldSkills Germany-Leistungszentrum widmet sich der herausfordernden Disziplin Industrie 4.0. Im Industrie-Institut für Lehre und Weiterbildung Mainz eG (ILW) fließen handwerkliches Arbeiten, IT und Internet ineinander. Die Tradition reicht zurück bis 1927.

Industrie 4.0 bedeutet Handlungskompetenz in nicht nur einem Spannungsfeld: Wo flexibel produziert werden muss, Fabriken sich laufend verändern und Kunden individuelle Lösungen erwarten, geht heute ohne optimierte Logistik und Einsatz von Daten (bis hin zu Big Data) nichts mehr. Dass obendrein eine ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft gefordert ist, ist schon fast selbstverständlich.
Der Computer ist die zentrale Technologie, mittlerweile immer vernetzt mit dem Internet, über Unternehmens- oder sogar Ländergrenzen hinweg. Produktion und Dienstleistung werden nicht digitalisiert – sie sind es längst. Die Stichworte dieser vierten industriellen Revolution sind IIOT (Industrielles Internet der Dinge) und M2M (Maschine-zu-Maschine-Kommunikation) – und die Möglichkeiten werden täglich mehr und intelligenter.
An diese Welt werden die Azubis im ILW „zart“ herangeführt, schildert Daniel Kitz, Teamleiter Elektrotechnik/Mechatronik in Mainz. „Die jungen Menschen gehen spielerisch mit dem Internet um, das ist selbstverständlich für sie. Wir vermitteln ihnen, dass man außer Googeln und Spielen auch Produktivprozesse damit steuern kann. Wenn diese Hürde genommen ist, dann sind die Azubis hoch motiviert und IIOT und M2M sind Selbstläufer. Da sprudeln die Ideen, das muss man nur anstoßen.“

„Gespielt“ wird dabei natürlich auch mit Aufgaben, die keine Industrietauglichkeit haben müssen. „Es geht immer darum, Faszination und Begeisterung zu wecken, wenn wir in die einzelnen Technikebenen einsteigen. Wir spielen zum Beispiel die Komponenten an und der Arbeitsprozess zeigt ihnen dann, was sie verknüpfen können. Sie arbeiten ja alle schon mit Maschinen und Anlagen, bei denen Komponenten wie Webserver zugeschaltet sind.“ Selbstredend werden auch Themen wie Produktions- oder Datensicherheit, Fachwissen und letztlich Prüfungswissen vermittelt.

Michael Wollmer, Ausbilder Elektrotechnik, nimmt mit einem Auszubildenden eine messtechnisch orientierte Spannungspunktverfolgung vor. (Foto: ILW Mainz)

Junge Menschen gewinnen
Um Schülerinnen und Schülern diese Welt zu erschließen, ist das ILW-Mainz zum Beispiel auf Berufsinformationsmessen aktiv und besucht Schulen. Zentral ist der Tag der Technik, veranstaltet von der IHK in den Räumlichkeiten des ILW. Bis zu 1.500 Schülerinnen und Schüler probieren sich dann in den Mitmachprojekten aus: „Wir wollen Aha-Erfahrungen vermitteln, das Erleben am Projekt.“ Auch das Leistungszentrum mit seinen hoffentlich kommenden Champions soll hier Strahlkraft entwickeln.
Insgesamt werden derzeit 17 Berufe der Metall- und Elektroindustrie ausgebildet. Und das von A wie Anlagenmechaniker bis Z wie Zerspanungsmechaniker. Als Leistungszentrum konzentriert sich das ILW-Mainz auf die Berufe Mechatroniker, Elektroniker für Betriebstechnik und Elektroniker für Automatisierungstechnik.

Entscheidende Begegnungen
Auslöser für die Bewerbung als Leistungszentrum war das Kennenlernen der Berufswettbewerbe. „Erste positive Erfahrungen hatten wir 2008 durch den Gewinn der ‚xplore – New Automation Award‘-Meisterschaften. Eindrücke beim ‚Trainingscamp Hamburg 2019‘ veranlassten uns dann, diesen Gedanken wieder in das ILW hineinzutragen – auch wegen der engagierten und begeisterten Menschen, die im Hintergrund diese Veranstaltungen gestalten und lenken. Wir sehen hierin eine Übereinstimmung mit unserer Kernaufgabe, junge Menschen in technischen Berufen mit viel Herzblut auszubilden und auch in ihrer Persönlichkeit zu fördern.“ Das ILW legt Wert auf eine industrienahe Ausbildung, die sich über Lehrplan und Prüfungsrahmen hinaus an den aktuellen technologischen Entwicklungen orientiert. „Uns reizt es, den Wettbewerbsgedanken in den Ausbildungsalltag hineinzubringen. Wir wollen die Auszubildenden über die Wettbewerbskultur motivieren und begeistern, sich Handlungskompetenz und berufliche Fertigkeiten anzueignen.“

25 Mitarbeiter hat das ILW, 17 davon arbeiten Vollzeit im Ausbildungsbetrieb. Für das Leistungszentrum engagiert sich derzeit ein vierköpfiges Team: Michael Wollmer ist der Key-Account für die Wettbewerbsbegleitung und Vorbereitung, Pascal Flockert sein Stellvertreter. Beide haben Erfahrungen im Prüfungsausschussvorstand. Daniel Kitz ist inhaltlich verantwortlich und ILW-Geschäftsführer Manuel von Vultejus steht als Projektsponsor voll dahinter. Auf die ersten Trainings- und Wettbewerbserlebnisse ist das Team schon gespannt. „Wir stehen ja erst am Anfang: Wir treiben das gemeinsam voran, das wird wachsen und leben – und unsere jungen Menschen interessieren und begeistern.“
Auf insgesamt 3.500 m² finden die künftigen Champions Theorieräume, Elektrowerkstätten, Metallwerkstätten, einen Maschinenpark, vernetzte Anlagenmodelle der Fertigungs- und Prozessautomation, aktuelle Hardware und Software für vernetztes, kollaborierendes Arbeiten und adaptive Fertigungsstationen.

LernCampus@ILW
Eine Besonderheit ist der LernCampus@ILW, der 2019 eingerichtet und in die Ausbildung integriert wurde: Man stelle sich einen überbetrieblichen Warenkorb voller Software vor, an dem sich alle Trainings- und Fortbildungs-Teilnehmenden des ILW bedienen können: „Wir lizensieren die Programme, stellen sie geräteunabhängig zur Verfügung und alle können sie nutzen: Egal wann und wo.“ Davon profitieren besonders junge Menschen in Kleinst- und sehr spezialisierten Betrieben, denen in der Firma nicht alles zur Verfügung steht. Und natürlich die eifrigen, die künftigen Champions, die ortsunabhängig jederzeit trainieren können. „Das Schöne ist auch hier wieder, den jungen Leuten den Nutzen aufzuzeigen, den ein Handy hat: Sieh dir das an, mach Dich schlau. Auch unsere internen Dokumente haben wir jetzt digitalisiert, damit sie immer zur Verfügung stehen.“

Gegründet 1927
Das neue Leistungszentrum ist eine seit Jahrzehnten anerkannte und kompetente Institution für technische Aus- und Weiterbildung in der Rhein-Main-Metropol-Region. „Ich selbst bin erst wenige Jahre hier, aber wie stark diese Tradition trägt, erleben wir zum Beispiel an den Elterninformationsabenden. Da kommen auch Erwachsene, die selbst im ILW waren, ihre Anekdoten erzählen und schwärmen, denn das war schon immer ein tolles Institut. Und sie sind begeistert, wie sich das verändert hat, wie toll und modern es heute ist. Ja, wir verbinden auch Generationen – und wollen die heutige Generation so ausbilden, dass sie die Zukunft gestalten kann.“

Das ILW Mainz wurde 1927 als „Industrie-Lehrwerkstatt Mainz eG“ gegründet und ist seitdem die überbetriebliche Ausbildungsstätte für technische Berufe vieler Industrieunternehmen aus der Region. Seit der Umfirmierung 2012 zum „Industrie-Institut für Lehre und Weiterbildung Mainz eG“ werden auch überregional Teilnehmende gewonnen. „Wir haben uns von der verlängerten Werkbank zu einem Bildungsdienstleister entwickelt. Wichtig ist uns neben der Ausbildungsqualität, dass die Teilnehmenden sich vernetzen und von unserem Netzwerk profitieren.“ Das Netzwerk umfasst 80 Kunden vom Kleinbetrieb bis zum Welt-Unternehmen. Das ILW funktioniert als Plattform für den fachlichen und persönlichen Austausch: Alle sollen voneinander lernen.

Beim aktuellen Schritt zum Leistungszentrum „Skill Industry 4.0“ geht es natürlich zuoberst um die jungen Menschen. „Die Teilnahme kollaborativer Teams an den Wettbewerben soll sie individuell fördern. Und die Berufswettbewerbsgedanken von WorldSkills und JUMPP sollen uns helfen, neue Module der technischen Weiterbildung zu entwickeln und bundesweit anzubieten.“ Die individuelle Förderung geht Hand in Hand mit der ständigen Weiterentwicklung der Technologie und der beruflichen Aus- und Weiterbildung.

Hintergrund zur Geschichte des ILW
Das ILW ist mit der Stadt Mainz und der Region fest verwachsen. Von den sieben Gründungsmitgliedern sind heute noch fünf aktiv.
Der entscheidende Punkt, der zur Gründung geführt hat, gilt bis heute als die zentrale Aufgabe des ILW-Mainz: die Unterstützung der regionalen Industriebetriebe durch eine zentralisierte, qualitativ hochwertige technische Berufsausbildung. Die lange Tradition bedeutet jedoch nicht das Festhalten an etwas Vergangenem, sondern das permanente Weitergeben der „Flamme“, d. h. der Begeisterung für technische Berufe, unterstützt durch zeitgemäße Technologien und hochmotivierte Ausbilder.
Das ILW ist rechtlich als Genossenschaft (eG) organisiert. Die Mitglieder bzw. Genossen des ILW sind, sofern sie sich einbringen wollen, in den drei Gremien Vorstand, Aufsichtsrat und Generalversammlung vertreten. Die IHK ist Gründungsmitglied und Partner bei der Organisation und Durchführung der regelmäßig stattfindenden Prüfungen im ILW.
Die genossenschaftliche Organisation hat sich vor allem unter den folgenden beiden Aspekten bewährt:
- Durch die Gemeinnützigkeit und unter Beachtung bestimmter Auflagen wird die Bildungsstätte von Bund und Land gefördert. Alle wesentlichen Investitionen des ILW in den letzten 20 Jahren waren nur aufgrund dieser finanziellen Unterstützung möglich.
- Die wichtigsten Kunden des ILW sind auch gleichzeitig Genossen und Mit-Eigentümer und folglich in allen Gremien der Gesellschaft im Ehrenamt vertreten. Dies verstärkt die Identifikation mit dem ILW-Mainz und stellt die Industrienähe bei der Entwicklung der Genossenschaft sicher.

Die Grenzen verschwimmen
Gefragt nach den größten Herausforderungen der Zukunft, nennt Kitz gleich ein ganzes Paket: „Die zunehmende Digitalisierung wirkt sich auf alle Berufsbilder aus: der Umgang mit Computern, der Einsatz von mobilen Endgeräten in neuen, digitalen Arbeitsprozessen und die immer stärkere Vernetzung aller Elemente und Ebenen untereinander. Das alles lässt die Grenzen zwischen Unternehmensebene und Prozessebene und auch zwischen den Berufsbildern verschwimmen. Es müssen zum Beispiel ein gemeinsames Wording und ein anderes Datenverständnis geschaffen werden. Der IT-Spezialist aus der Geschäftsführung hat ein anderes Verständnis als der Prozesstechniker, sie kommen aus verschiedenen Welten, aber nun vernetzen sich die Systeme. Also brauchen wir ein gegenseitiges Verständnis: Der Fachinformatiker muss die Prozesswelt, der Elektroniker die Unternehmensebene kennen.“

Für das ILW als Bildungszentrum besteht die Herausforderung darin, die klassischen Grundkenntnisse weiterhin zu vermitteln und darüber hinaus mit der digitalisierten Industrie zu verbinden – und das bei stetigem Wandel und immer heterogeneren Lerngruppen. „Hier besinnen wir uns auf unsere Stärken: Wir sind vor Ort präsent mit fachlich qualifizierten und pädagogisch geschulten Ausbildern – die sich immer mehr zum Lernbegleiter wandeln.“ Vermittelt wird nicht statisches Wissen, sondern die Fähigkeit, Neues zu lernen.

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Auf 3.500 m² bietet das ILW Mainz alles, was künftige EuroSkills- und WorldSkills-Champions zum Training benötigen. (Foto: ILW Mainz)

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