Generation Neugierig + Digital fit

29. November 2021

Traditionelle Berufsbilder und Digitalisierung vertragen sich immer besser – ein Muss, um in der beruflichen Bildung zukunftsfähig zu bleiben

Dieser Beitrag erschien in Auszügen im WorldSkills Germany Magazin – Ausgabe 21 (Dezember 2021). Lernen Sie unser Fachmagazin für Talentmanagement, berufliche Wettbewerbe und außerschulisches Lernen kennen >>

Die digitale Transformation in den Ausbildungsberufen ist eines der Zukunftsthemen. Was sind weitere – und vor allem: Wie werden die Mitarbeiter/innen dafür in der Aus- und Weiterbildung fit gemacht? Worauf legt die jeweilige Branche Wert, jetzt und künftig? Die Redaktion fragte bei Mitgliedsverbänden von WorldSkills Germany nach.

Die (immer noch nicht überwundene) Pandemie hat uns allen die hohe Relevanz des Themas Digitalisierung überdeutlich vor Augen geführt.

Digitales Büro, Dienstleistungsangebote und Firmenmeetings per Web oder auch Nachwuchsansprache und -gewinnung über die virtuellen Kanäle sind vielerorts Alltag. Hier nachhaltiger und effizienter zu werden, das steht bei allen befragten Verbänden ganz oben auf der Agenda der Zukunftsfelder. Genau wie die Anpassung von Ausbildungsinhalten und das Vermitteln praktischer Kompetenzen, die die Attraktivität der Berufe erhöhen und das „Personal der Zukunft“ fit machen für die Anforderungen der Branche.

Bauen wird digitaler – doch das „Handwerkszeug“ muss auch sitzen

Beispiel Bauwirtschaft: „Fast alle Bauunternehmen nutzen intensiv Software für Kalkulation, Ausführungsplanung und Abrechnung, im Büro – aber auch auf der Baustelle über Tablets oder Smartphones. Apps erleichtern das Bestellen von Material oder geben Tipps für die Montage. Fotodokumentation verbessert die Kommunikation mit dem Kunden und gibt Rechtssicherheit. Mobile Zeiterfassung auf der Baustelle erspart eine Menge Zeit für Lohnbuchhaltung und Controlling“, so Dr. Cornelia Vater, Abteilungsleiterin Berufsbildung im Zentralverband Deutsches Baugewerbe. Wo früher vorrangig Menschen Stein auf Stein gesetzt, Betonwände gegossen oder Armierungen montiert haben, kommen auch schon Bauroboter hinzu, zunehmend überwachen Drohnen, bewährte Technologien für Planung und Kontrolle werden verfeinert, ganz neue halten Einzug.“

Der 3D-Betondruck beispielsweise habe das Potenzial, die Baubranche zu revolutionieren. Mittels 3D-Drucker können Betonstrukturen ohne Schalung schnell und kostengünstig hergestellt werden – bei großer Designfreiheit. So sind vielfältige Baukörper möglich wie beispielsweise Wände, Säulen, Abwasserschächte, Treppen. Das Ergebnis: widerstands-fähige und architektonisch innovative Gebäude. Damit eignet sich das Verfahren perfekt für den Einsatz im Wohnungsbau und bei der Erstellung individueller Fertigteile.
Klar ist: Bauen wird digitaler – und dadurch transparenter, effizienter sowie letztlich auch sicherer. Ergo muss und wird digitales Know-how in der Aus- und Weiterbildung stärker gefördert werden. „Zugleich aber ist eine breite Grundausbildung zum Verständnis der analogen Abläufe und Prozesse sowie des Ineinandergreifens der Gewerke auf einer Baustelle unverzichtbar. Denn Menschen werden weiterhin die entscheidende Rolle spielen“, so Dr. Vater. Denn: „Wer das Bauen nicht beherrscht, kann es auch nicht digitalisieren.“ Ein Spagat, der aktuell im Zuge der Neuordnung der Berufsausbildung in der Bauwirtschaft zu bewältigen ist.

Fachkräfte müssen sich auf Wandel in der Kfz-Branche einstellen

Auf ein anderes Beispiel verweist Joachim Syha von der Berufsbildung des Zentralverbands Deutsches Kfz-Gewerbe: „In der Zukunft werden wir uns von Neufahrzeugen mit Verbrennungsmotor verabschieden. Das bedeutet mittelfristig eine Neuausrichtung der Ausbildungsinhalte in der Kfz-Mechatronik. Es gilt zu differenzieren: Service für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor und für jene mit Elektroantrieb, also je nach Antriebsart, die die Kundschaft bevorzugt. Vorausschauend müssen wir auch Fahrzeuge mit Wasserstoffantrieb inklusive Brennstoffzelle mit ins Blickfeld nehmen.“
Man habe die Inhalte der Kfz-Meister/innen-Prüfung bereits neu geordnet, die der Kfz-Servicetechniker/innen-Prüfung seien derzeit in Bearbeitung. Das Problem: „Unsere Mitgliedsbetriebe werden von der Automobilindustrie mit einer neuen Fahrzeuggeneration, die immer mehr und mehr verknüpfte Fahrzeugsysteme aufweist, beliefert. Eine Durchdringung der Funktionen der Systeme ist nicht immer einfach, neue Diagnosekonzepte werden erwartet. Die Kfz-Werkstatt muss sich vermutlich daran gewöhnen, dass der Fahrzeughersteller über das Internet als Erster erfährt, welche Fehler am Fahrzeug aufgetreten sind, und einen Reparaturauftrag erteilt.“ Und auch im Fahrzeugverkauf wird es in Zukunft neue Vertriebswege, ohne den klassischen Fahrzeughändler, geben.
In der Folge bedeutet dies“, so Syha, „dass der Fahrzeughersteller die Fachkräfte von morgen selbst fit machen wird. Ein Fahrzeughersteller lässt sicher nur noch Fachkräfte an das verkaufte Fahrzeug, die hierfür autorisiert sind. Man denke z.B. an das autonom fahrende Auto mit seinen hierfür sensibel eingestellten Sensoren und Aktuatoren, die das Fahrzeug bewegen.“
Bereits 2003 habe man die traditionellen Ausbildungsberufe Kfz-Mechaniker/in und Kfz-Elektriker/in zum Ausbildungsberuf Kfz-Mechatroniker/in gebündelt. Die Kfz-Werkstätten sind mit der Digitalisierung bereits über 30 Jahre konfrontiert. Die entsprechenden Fachkräfte-Generationen sind durch regelmäßige Fortbildungskonzepte auf das Thema eingestellt. Es erfolgen regelmäßige Updates insbesondere bezüglich des Umgangs mit neuer digitaler Mess- und Prüftechnik. Derzeit diskutiere man, wie eine Trennung zwischen Tätigkeiten, die für eine Ausbildung zum/zur Spezialist/in für Verbrennungsmotoren oder für Elektromobilität erfolgen könnte bzw. ob dies überhaupt sinn-voll ist. Denn die Fahrzeuge werden auch in Zukunft gemeinsame Systeme bzw. Bauteile haben. Im Moment sei man mit dem Berufsbild Kfz-Mechatronik gut aufgestellt. Diskutiert werden auch Zusatzqualifikationen, die eine Ausbildung der traditionellen Tätigkeiten ermöglicht.

Digitalisieren der Nachhaltigkeit zuliebe

Nachhaltigkeit sowie Klima- und Umweltschutz nennen befragte Verbände als wichtige Zukunftsfelder – und haben diese auch für ihre berufliche Ausbildung im Fokus. „Die Branche der Textilreiniger/innen, Wäschereien und der Mietwäsche ist per se nachhaltig. Jedes einzelne Unternehmen arbeitet nach dem Re-Use-Prinzip. D.h. Textilien werden immer wieder aufbereitet und benutzt - im Gegensatz zu Wegwerf-Produkten aus Papier oder Plastik“, so Andreas Pützer vom Deutschen Textilreinigungsverband e.V. Nachhaltigkeit werde aufgrund des Bewusstseins der Branchenunternehmen für ihre Verantwortung gegenüber Mensch und Umwelt, aufgrund der öffentlichen Meinung und der politischen Vorgaben (EU-Green Deal, Sorgfaltspflichtengesetz, geplante EU-Lieferkettenverordnung u.a.) als zukunftweisendes Thema immer bedeutender. Zudem modernisieren zahlreiche Unternehmen die technische Infrastruktur in den eigenen Betrieben im Hinblick auf Ressourceneinsparung und CO2-Minderung. Sie arbeiten nach dem Kreislaufprinzip und verbrauchen dadurch extrem wenig Wasser.
„Digitalisierung und der Einsatz von Robotertechnik in Wäschereibetrieben veränderten in den letzten Jahren die Anforderungen an den Beruf ‚Textilreinigung‘ spürbar. Über Barcodes und/oder Chips, die den Textilien anheften, werden an die steuernde Software Informationen über Qualität und Zustand der Textilien weitergegeben, ebenso Pflegehinweise und, welche Wäscheteile zu welchem Kunden gehören. Damit können Wasserzufuhr, Waschmittelbedarf und Waschtemperatur reguliert werden“, nennt Pützer Beispiele. Das habe natürlich auch Konsequenzen für die Aus- und
Weiterbildung – durch digitale Technologien sind neue Kenntnisse erforderlich. Besonders erwähnt der Verband die mehrsprachige E-Learning Plattform „E-Washboard“, auf der Lernmaterialien in Form von E-Learning-Modulen und Erklärvideos zu finden sind. Neben der PC-Version (www.e-washboard.eu) gibt es eine App, an der viele Unternehmen mitarbeiten. Videosequenzen stammen aus dem Berufsalltag der Unternehmensmitarbeitenden.

Landschaftsgärtner-Nachwuchs mit digitalen Medien unterstützen

Digitales Handwerkszeug gehört auch zur Ausbildungs- und Arbeitswelt der Landschaftsgärtner/innen: „Innovative Dienstleistungen rund um die wichtigen grünen Themen wie Stadtgrün, Klimaschutz und Artenvielfalt können nur mit qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entwickelt und realisiert werden. Daher ist die Nachwuchsgewinnung eine wesentliche Basis für die boomende Branche der Expertinnen und Experten für Garten und Landschaft – und die ist wie alle wirtschaftlichen Bereiche mehr denn je geprägt durch die Digitalisierung“, sagt Thomas Wiemer, Referent für Nachwuchswerbung und Weiterbildung vom Ausbildungsförderwerk Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau e. V. Man richte das Augenmerk aber ebenso auf die Mitarbeiter/innenbindung. „Gezielte digitale Angebote wie die Seiten ‚azubi.help‘ und ‚ausbilder.help‘ sowie die Netzwerkplattform Galabau Camp zeigen Wege und Perspektiven innerhalb der Branche auf, ebenso wie z. B. GaLa-Q, das berufsständisch entwickelte Fortbildungsangebot.“ Alle an der Förderung der (angehenden) Fachkräfte Beteiligten unterstützen bereits von Beginn an, z. B. mit digitalen Lernmedien wie dem Pflanzenbuch als App und Web-Anwendung, dem Online-Berichtsheft, den Checklisten und Filmen zur Prüfungsvorbereitung sowie speziellen Seminarangeboten wie „Fit in die Ausbildung“, „Talentschmiede“ oder „Digitale Baustelle“.

Tischler- und Schreinerhandwerk auf der Höhe der Zeit

Kundenaufträge werden digitalisiert, damit anhand von digitalen Stücklisten auch später, z. B. für einen Reparaturauftrag, nachvollzogen werden kann, welche Materialien verbaut wurden. Über ein Terminal am Plattenlager findet sich so schnell das richtige Rohmaterial, um an einer Palettenaufteilsäge in gewünschten Maßen zugeschnitten zu werden, und CNC-Maschinen ermöglichen anschließend Fräsungen und Bohrungen in kürzester Zeit. Denn im System gespeicherte Kundenaufträge lassen sich in entsprechend ausgestatteten Betrieben selbst von erfahrenen Azubis leicht abrufen. Drei Beispiele aus dem heutigen Alltag des Tischler- und Schreinerhandwerks.
„In vielen unserer Unternehmen gehören elektronische Systeme zum handwerklichen Alltag“, so Fridtjof Ludwig vom Bundesinnungsverband Tischler Schreiner Deutschland. „Dank höchster Fertigungsqualität und dem überwiegenden Einsatz nachwachsender Rohstoffe ist das Tischler- und Schreinerhandwerk eine Top-Zukunftsbranche, die dem Markt jedes Jahr mehr als 7.000 neue Fachkräfte zur Verfügung stellt.“ Von Vorteil für die exzellente Berufsqualifikation sei, dass es sich bei den deutschlandweit 9.000 Ausbildungsstätten fast ausschließlich um Handwerksbetriebe handle, die meist bereits seit Generationen Fachkräfte qualifiziere und darin sehr erfahren sei. Ausbildungsinhalte und
-methodik würden außerdem regelmäßig von Fachexpertinnen Expertinnen und Experten der Innungsorganisation überprüft, um sicherzustellen, dass diese weiterhin auf hohem Niveau den modernen Anforderungen entsprechen.

Druckbranche im Weiterbildungsmodus

Holger Busch, Hauptgeschäftsführer Verband Druck und Medien Bayern, betont ebenso, „dass heute mehr getan werden muss als noch vor einigen Jahren, um ausreichend gutes Personal zu finden. Die Unternehmen aus der Druck- und Medienindustrie bieten hochinteressante, verantwortungsvolle und gut bezahlte Arbeitsplätze. Das allein reicht aber schon lange nicht mehr, um gute Leute zu finden und an das eigene Unternehmen zu binden. Für die Unternehmen heißt das, sich für die junge Generation als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren und die Vorteile einer dualen Ausbildung herauszustellen. Dazu gehören neben den finanziellen Fragen auch Themen wie Unternehmenskultur, flexible Arbeitszeitmodelle, Weiterbildung und Aufstiegsperspektiven.“
Der Verband, der für Berufsbilder wie Medientechnologe/-in Druck, Medientechnologe/-in Druckverarbeitung, Medientechnologe/-in Siebdruck, Mediengestalter/-in Digital und Print, Buchbinder/in (Handwerk) und Packmitteltechnologe/-in zuständig ist, fördert Talente und hilft Unternehmen, den Nachwuchs mit hohem Fach- und Praxiswissen an zukünftige Aufgaben und Verantwortungsbereiche heranzuführen. „Viele Betriebe setzen seit Jahren auf die Erfahrungen unserer Überbetrieblichen Ausbildung (üba) und werden stets mit guten Ergebnissen in der Prüfung sowie der betrieblichen Arbeit belohnt. Damit bietet der Verband“, so Busch weiter, „neben der Berufsschule und dem Betrieb eine dritte Säule für eine erfolgreiche Ausbildung. In speziellen Kursen für die Auszubildenden der Druck- und Medienindustrie wird vorhandenes Know-how gestärkt und dort, wo Hemmnisse bestehen, gezielte Unterstützung geboten.“ Im Dialog mit Praxisexpertinnen und -experten schreibt der Verband die Berufsbilder der Branche fort, denn: „Die Druckbranche befindet sich in einem permanenten Wandel – und für die Mediengestalter/innen oder Medientechnologen/-innen heißt dies auch künftig, Freude am Umgang mit Hard- und Software sowie eine hohe Digitalkompetenz mitzubringen.“
Denn auch hier gilt: Exzellent qualifiziertes Personal ist der Wachstumstreiber und die Basis des Unternehmenserfolgs.

Weitere Fachbeiträge und Best-Practices finden Sie im WorldSkills Germany Magazin, dem Fachmagazin für Talentmanagement, berufliche Wettbewerbe und außerschulisches Lernen.

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