„Ich bin immer noch überrascht“

28. November 2020

Wie der Titel der Vize-Weltmeisterin Elena Singers berufliche Entwicklung heute noch beeinflusst

Dieser Beitrag erschien in Auszügen im WorldSkills Germany Magazin - Ausgabe 18 (Dezember 2020). Lernen Sie unser Fachmagazin für Talentmanagement, berufliche Wettbewerbe und außerschulisches Lernen kennen >>

Tage voller Spannung liegen hinter den Teilnehmenden der WorldSkills 2013 in Leipzig. Wo sich auf anderen Wettbewerbsflächen der Stress mit lautem Geschrei entlädt, sei es aus Frust oder Freude, steht die deutsche Teilnehmerin in der Disziplin Drucktechnik, Elena Singer, ruhig da, zuckt mit den Schultern, denkt sich: 2Schau'n mer mal" – und gewinnt am Ende völlig unerwartet die Silbermedaille. Bis heute sagt sie rückblickend: "Ich bin immer noch überrascht. Andere Nationen bereiten sich gezielt jahrelang auf diesen Wettbewerb vor. Ich hatte bis kurz vor dem deutschen Ausscheidungswettbewerb noch nicht einmal auf den Wettbewerbsmaschinen von Heidelberger gearbeitet. Dann bei der Weltmeisterschaft Silber zu holen, das ist immer noch unglaublich."

Als eine der zwölf besten Berufsschüler/innen Deutschlands durfte Elena 2012 am deutschen Vorentscheid für die WorldSkills teilnehmen. "Ich hatte ein bisschen Panik, weil wir im Betrieb mit einem anderen Hersteller arbeiten und ich auf diesen Maschinen gelernt habe. Bei der Vorbereitung zum deutschen Wettbewerb war ich dann sehr überrascht, wie einfach die Bedienung ist." Zu Hause vertiefte sie sich in die Bedienungsanleitung und gewann zu ihrer eigenen Überraschung die Deutsche Meisterschaft, die sie zur Teilnahme an den WorldSkills berechtigte. An die Sieges-E-Mail erinnert sie sich auch heute noch lebhaft: "'Sie haben gewonnen' stand in der Betreffzeile. Ich dachte zuerst an einen Lottogewinn – aber es war die Zusage für die Teilnahme an den WorldSkills", lacht sie. Da ihr Ausbildungsbetrieb, die Druckerei C. H. Beck im bayerischen Nördlingen, damals keine Heidelberger Druckmaschinen hatte, durfte sie bei einer anderen Druckerei in der Stadt üben. Die Voraussetzungen für eine siegreiche Teilnahme an den WorldSkills waren demnach nicht optimal, was die damals 19-Jährige aber mit hohem Engagement wettgemacht hat. "Ich habe viel gelernt, gerade, was die Bedienung der Maschinen anbelangt. Praktisch habe ich circa zwei Mal die Woche trainiert." Was ihr geholfen hat, war die große Unterstützung ihres Ausbildungsbetriebs: "Ich habe überhaupt keinen Druck bekommen – in anderen Nationen werden die Teilnehmenden jahrelang auf diesen Wettbewerb hin gedrillt, mein Ausbildungsleiter meinte: 'Nimm einfach die Erfahrung mit.' Das hat mir viel bedeutet."

Elena Singer jubelt nach dem Überreichen der Silbermedaille in der Disziplin Drucktechnik über ihren Erfolg bei den WorldSkills Leipzig 2013. (Foto: WorldSkills International)

Mit Tunnelblick zur Silbermedaille

Dass es für einen Medaillenplatz gereicht haben könnte, kam Elena nicht in den Sinn: "Die Wettbewerbsaufgaben waren in mehrere Bereiche unterteilt, wir haben selten die Ergebnisse der anderen mitbekommen. Bei einer Aufgabe hatten wir zwei Stunden Zeit. Ich war in 15 Minuten fertig – die Teilnehmenden aus den asiatischen Ländern waren noch schneller. Ich bin überhaupt nicht davon ausgegangen, auf den vorderen Plätzen zu landen. Ich wusste zwar, dass ich gut war, nicht aber, dass ich so gut war. Ich habe die Platzierung nicht glauben können." Diese gewisse Unbedarftheit, gepaart mit einer Spur Coolness und Wettbewerbsfokussierung waren Elenas persönliches Wettbewerbsplus: "Ich kann mich an relativ wenig aus dem Wettbewerb erinnern. Ich habe alles um mich herum ausgeblendet. Als ich später Bilder vom Event gesehen habe, war ich überrascht, wie viele Leute da waren. Das hatte ich gar nicht wahrgenommen, ich war wie im Tunnel, habe mich voll auf die Zeit und die Sauberkeit in der Ausführung konzentriert."

Weiterbildung mit großer Unterstützung

Der Teilnahme an den WorldSkills hat sie viel zu verdanken. "Als Wertschätzung habe ich einen unbefristeten Arbeitsvertrag erhalten – das gibt es bei uns eigentlich nicht sofort. Eventuell hätte ich auch meine jetzige Stelle im Auftrags- und Kundenmanagement nicht bekommen, weil ich damals mit 22 Jahren noch sehr jung war. Aber ich war eben schon immer sehr ehrgeizig." Das zeigt sich auch in ihrer Weiterqualifizierung zur Medienfachwirtin, die sie innerhalb von zwei Jahren berufsbegleitend absolviert hat. Erneut sagt sie: Ohne die große Unterstützung ihres Betriebs wäre das nicht so einfach möglich gewesen. "Mein Chef wusste, dass ich nicht mein ganzes Berufsleben an der Maschine stehen will. Meinen Weiterbildungswunsch hat er von Anfang an sehr unterstützt, die Schichten wurden entsprechend eingeteilt, ich konnte auch Dreischicht oder sehr flexibel in dieser Zeit arbeiten", ist Elena noch heute dankbar. "Heute weiß ich allerdings nicht mehr, wie ich das alles geschafft habe. Aber in der Zeit habe ich mir nie groß Gedanken darüber gemacht. Die Arbeit unter der Woche empfand ich eher körperlich, am Wochenende und in den Lernphasen habe ich mehr 'fürs Köpfchen' gemacht. Für mich passte das von der Mischung her sehr gut."

Im Wettbewerb arbeitete Elena Singer hochkonzentriert, zum Beispiel beim manuellen Anmischen einer vorgegebenen Sonderfarbe. (Foto: WorldSkills International)

Qual der Wahl

Dass sie einmal Druckerin werden würde, war – obwohl ihr Vater in eben jener Druckerei ebenfalls tätig ist – nicht von vornherein vorauszusehen. In der Schule hat Elena, meist in den Ferien, jede Menge Praktika absolviert: in der Apotheke, als Fotografin, Bauzeichnerin, in der Stadtverwaltung, als Mediengestalterin, im Hotel. Allerdings: "Mir hat nichts wirklich zugesagt. Die meisten Praktikumsstellen waren überhaupt nicht strukturiert oder vorbereitet – einen echten Eindruck vom Arbeitsalltag hat man überhaupt nicht bekommen." Das Pflichtpraktikum in der 9. Klasse, das sie dann bei C. H. Beck absolvierte, war der sprichwörtliche Augenöffner. „Es war alles toll organisiert. Ich hatte sofort das Gefühl, dass man sich dort Gedanken gemacht hat, was man mit Praktikant/innen und Auszubildenden machen will." Was sie am meisten beeindruckt hat? "Mich hat fasziniert, dass ich am Ende sehen konnte, was ich gemacht habe. Auch das Technische, das Verfahren, wie das alles funktioniert, fand ich interessant. Das Klima unter den Azubis fand ich super – das Gesamtpaket hat gepasst."

Vielleicht nochmal auf die Schulbank

Ihrer Ausbildung hat sie einiges zu verdanken, wie sie sagt: "Grundsätzlich hat mich meine Ausbildung sehr eigenständig und selbstsicher gemacht. Ich muss Entscheidungen selbst treffen und kann dieses riesige Ungetüm an Maschine einrichten, bedienen und verstehen. Darauf bin ich sehr stolz. Auch, weil Drucker/in eigentlich ein absoluter Männerberuf ist." Für sie war das nie eine Hürde, ganz im Gegenteil: Den Respekt ihrer Kollegen hat sie sich verdient. Daher gehörte sie auch bis zum Schluss zur Stammbesetzung, leitete Maschinenhelfer an oder wurde während der Nachtschicht eingesetzt, während der man Herausforderungen ohne die Hilfe des Schichtführers lösen muss. Heute steht Elena zwar nicht mehr an der Maschine, ihr technisches Know-how braucht sie allerdings immer noch jeden Tag. In ihrer jetzigen Position im Kundenservice fühlt sie sich angekommen. Gibt es dennoch Pläne für die Zukunft? "Vielleicht packt mich irgendwann der Ehrgeiz, nochmal die Schulbank zu drücken." Ein neues Berufsbild? Für sie ausgeschlossen: "Weg von meinem Beruf? Das kann ich mir gar nicht vorstellen."

Elena Singers Geschichte zeigt, dass junge Menschen mit Engagement und Willen auch ungünstige Voraussetzungen positiv für sich wandeln können, um erfolgreich zu sein. Sie zeigt aber auch, welchen wichtigen Einfluss der Betrieb bei der Förderung und Unterstützung seiner Auszubildenden einnimmt – und dass dessen Rolle schon im Praktikum beginnt: Wer sich um seine Praktikanten bemüht, hat den künftigen Auszubildenden schon fast von sich überzeugt.

Weitere Fachbeiträge und Best-Practices finden Sie im WorldSkills Germany Magazin, dem Fachmagazin für Talentmanagement, berufliche Wettbewerbe und außerschulisches Lernen.
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Heute berät Elena Singer Kunden der Druckerei C. H. Beck und kann dabei täglich ihr Fachwissen einbringen. (Foto: C. H. Beck)

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